Kurz und schmerzvoll

Neulich sprachen wir mit Dixie und Hank über unsere Schulzeit und ich erzählte, dass zu meiner Zeit zwar Rohrstöcke, Ohrenzieher und Schellen (fränkisch für Watschn, Backpfeifen, Ohrfeigen) offiziell bereits abgeschafft waren, das perfide System sich aber ganz neue Methoden ersonnen hatte, um uns leidlich braven Schülern das Leben zur Hölle zu machen.

Meine ganz persönliche Schulhölle hatte mehrere Stockwerke. Das Penthouse, schick eingerichtet, aufgeräumt und stets gern besucht teilten sich Englisch, Deutsch, Französisch und die Etagen darunter waren durch andere, nicht allzu schwer zu meisternde Fächer besetzt. In der Tiefgarage, die schon ganz nah am brodelnden Erdkern lag, hauste zombieverseucht und bedrohlich alles, was in irgendeiner Form mit Zahlen zu tun hat sowie: Kurzschrift.
Hank und Dixie stutzten. Davon hatten sie noch nie gehört. Ach, diese Glücklichen.

Ich erzählte von meinem Fracksausen vor jeder einzelnen, verdammten Schulstunde, den verzweifelten Versuchen, die mit Stoppuhr gemessenen Worte der altjungferlichen und ansonsten netten aber aus Gründen verhassten Frau K. so auf fein liniertes Papier zu bringen, dass dass eigene Gekritzel später irgendwie noch halbwegs dechiffrierbar war. 120 Silben in der Minute waren schlicht ein Ding der Unmöglichkeit. Aber auch wenn sich unter nur 80 Silben ein Wort wie „Betriebsvermögensabgleich“ mischte, fühlte ich, wie sich das Gefühl des Versagens heiß wie frisch blubbernder Teer in meinen Magen ergoss. Diese Hundertstelsekunde an Ablenkung genügte und meine Konzentration verschob sich für den Rest des Diktats darauf, wie ich meinen Eltern die nächste 6 in Steno würde beibiegen können.

Auch der MamS kam einst in den zweifelhaften Genuss dieses Schulfachs. Und nachdem er in der siebten oder achten Klasse mal direkt und tüchtig abgekackt hatte, war es dem täglichen Drill seines Vaters geschuldet, dass er sich innerhalb eines Schuljahres um vier Notenstufen verbesserte. Wie nachhaltig dieses Jahr in seiner Erinnerung geblieben ist zeigt der Umstand, dass er das Wesentliche tatsächlich auch heute noch zwar nicht mehr nutzt, aber immerhin beherrscht und er gab uns gleich eine Kostprobe seines immer noch vorhandenen Wissens:

Diktiergeräte, PCs und letztlich Spracherkennungsprogramme verdrängten die Kurzschrift inzwischen fast komplett. So wurde ich also einst völlig umsonst gequält, gedemütigt und geknechtet. Und im Gegensatz zu Latein, das zwar als tote Sprache gilt aber noch heute in so vielen Bereichen allgegenwärtig ist, ist die Stenographie tatsächlich nur noch eines: Eine sterbende Schrift. Und ich persönlich gönne ihr das. Aus tiefstem Herzen.

Einen langen Abend wünscht
moggadodde

Dieser Eintrag wurde in Daily Soap veröffentlicht.

2 commenti su “Kurz und schmerzvoll

  1. Tanky sagt:

    Meine Mama kann auch Steno schreiben und benutzt sie als Geheimschrift, damit wir Geschenklisten o.ä. nicht entschlüsseln können…

    • moggadodde sagt:

      Uh, wegen mangelnder Kenntnisse meinerseits führte das leicht zu Missverständnissen. Was, wenn statt „iPhone 4S, 32 GB“ der andere „Jahresvorrat an schwarzen Socken“ versteht? Nene, das wäre bei uns zu gefährlich 😉

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