Die Kehrseite der Medaille

Wie üblich dräut die Frage, was man einer Frau, die bislang recht rüstig an den Achtzigern kratzt, wohl schenken könnte, bis Schwiegermutter selbst per Anrufbeantworter am Vorabend des Geburtstags mitteilt, dass ihr heute der Wasserkocher abgeschmiert sei. Noch ein wenig umständlicher als sonst beschreibt sie dem Band, dass der Wasserkocher „ein elektrischer Apparat zum Wasserheißmachen“ ist und dass der Wasserkocher wirklich dringend ist, weil sie mit Wasserkocher doch viel einfacher ihren Tee zubereiten könnte und so ein Wasserkocher sei doch wirklich ein vorzügliches und unverzichtbares Wasserheißmachgerät!?
Nach der epischen Bandansprache vermuteten wir beinahe, dass sie einen Wasserkocher möchte. Gehört, gekauft! Die Amazone würde ihr am Geburtstagsmorgen das Gewünschte liefern. Nicht ahnen konnten wir, dass der Wasserkocherwunsch fast zeitgleich noch an zwei andere Schenker gerichtet wurde. Aber das ist eine andere Geschichte.

Frau Schwiegermutter steht derzeit ein bisschen neben sich. Eine schlimme Grippe, gekoppelt mit einer doppelseitigen Mittelohrentzündung, beraubte sie größtenteils ihres Hörsinns. Da spielt so ein Gehirn ja schnell mal verrückt. Aber das ist ein Zustand, in dem sich sehr viele alte Leute dauerhaft befinden und damit leichte Beute sind für arschlochige Enkeltrickbetrüger und sonstiges, dreckiges Gelichter, das arglose Senioren übers lahm gewordene Ohr zu hauen gedenkt.

Schon zum letzten Weihnachtsfest beglückte die Schwiemu ihre Enkel mit Münzen, „24 Karat Feingold veredelt“. Die Begeisterung der Beglückten war überschaubar. Ein paar Klicks später war nämlich klar, dass es sich bei der „exklusiven Gedenkprägung“ um billigen Tinnef handelt, der höchstens Erinnerungswert hat. Das Codewort „Gold“ weckt gerade bei älteren Menschen eine große Faszination. Wertbeständig. Kostbar. Was für schlechte Zeiten. Während als „Münzen“ deklarierte Stücke gemäß ihrem Wert tatsächlich zumindest als Zahlungsmittel dienen können, besitzen „Medaillen“ lediglich ideellen Wert. Prägeanstalten prägen, was sie zu prägen beauftragt wurden. Selbst ich könnte z.B. eine Gedenkmünze „52 Jahre unfallfreies Nasepopeln“ oder „Unerreichte Philosophen – Dieter Bohlen“ prägen und an interessierte Senioren verhökern. Diese Schrottscharlatanerie ist nichts anderes als der oben erwähnte Enkeltrick, nur auf von seriösen Zeitungen und Magazinen geadelte Art.

Just heute erhielten wir die neue TV-Zeitschrift. Ja, wir haben sowas noch. Ein „Wertscheck“ in Höhe von 70 € fällt mir entgegen, mit dem die „beliebte Gedenkprägung Wiedervereinigung 3. Oktober 1990 – 25 Jahre Deutsche Einheit“, die zugehörige „Besitzurkunde“, Verpackung und Versand sowie die „Offizielle Münze Deutsche Mark“ mit „hochwertiger 24 Karat-Gold-Veredelung“ nicht 82,90 €, sondern nur noch schnäppchenhafte 12,90 € kostet! Wer greift da nicht zu?


Wie beim erwähnten Weihnachtsgeschenk ist der Herausgeber dieser numismatischen Blindgänger die „Deutsche Goldmünzen-Gesellschaft DGG“ aus Berlin, dessen „Leitung Leser-Service“, Andreas Bergmann, überhaupt nicht existiert, wie die F.A.Z. bereits ausführlich ermittelte. Das Foto, das einen verbindlich lächelnden Herrn Bergmann zeigen soll, ist nichts anderes als ein lächerlicher, durchschaubarer Fake. Aber welcher Senior kennt schon die Google-Bildersuche? Und das Kleingedruckte, mit dem er sogar noch ein Abo am Hals haben könnte?

Der Grat zwischen Gutgläubigenblendung und dem, was sich landläufig „Demenzmarketing“ nennt, Synonym für Menschenverachtung, triefend vor verabscheuenswürdiger Widerwärtigkeit, ist schmal. Und weil ich diesen Nepp nicht unterstützen möchte, haben wir die Fernsehzeitung heute unter Angabe von Gründen gekündigt.

Für den Gegenwert zweier dieser Mogelmedaillen hätte sich die Schwiemu einen Luxus-Wasserkocher leisten können, der zwar nicht die Kasse windiger Beutelschneider füllt, aber tipptopp Teewasser für sie und die Kinder und sogar Enkel kocht. Und die sind zwar nicht mit 24 Karat veredelt, aber so goldig, dass kein Wertscheck hoch genug sein könnte!

Einen wachsamen Tag wünscht
moggadodde

Dieser Eintrag wurde in Daily Soap veröffentlicht.

14 commenti su “Die Kehrseite der Medaille

  1. H. Lazic sagt:

    Wir sind leider opfer von DGG geworden und haben gestern erkannt, dass wir mit unserer ersten Bestellung vor 4 Wochen (ein Sonderangebot von 10€ statt 69€) ungewollt und unbemerkt ein Abo abgeschlossen haben. Gestern war die nächste Münze im Briefkasten für angeblich NUR 59,90€.
    Weißt du wie wir aus diesem ungewollten Abo wieder rauskommen?

    Herzliche Grüße

    • Moggadodde sagt:

      Oh, das tut mir leid! Nein, einen sicheren Tipp habe ich nicht, aber vielleicht kann die Verbraucherschutzzentrale weiterhelfen? Ich wünsche viel Erfolg!

    • Helge Hirschfelder sagt:

      Moin, ich mache das gerade für meinen Vater, 88 Jahre und ist leider auch auf die Abo-Masche reingefallen.
      Es steht auf der Rückseite der Rechnung in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen.
      Wenn sich die DGG an ihre Allg.Geschäftsbedingungen hält sollte ein Widerruf, innerhalb von 14 Tagen, per Post, Telefax oder Email und Rücksendung der gelieferten Münzen reichen.
      Ich warte mit der Rücksendung bis mein Widerruf/Kündigung bestätigt wurde.
      Da ich kein Jurist bin ist das ohne Gewähr, sollte aber funktionieren.
      Mein Text ist so:

      Sehr geehrte Damen und Herren,

      hiermit widerrufe ich den von mir, unter der im Betreff genannten Kundennummer, abgeschlossenen Vertrag über den Kauf der „Gedenkprägung xxxxxxx“.
      Ferner kündige/widerrufe ich einen eventuell von mir abgeschlossenen Abo-Vertrag, ich bin an keinen weiteren Zusendungen von Münzen interessiert, vielen Dank.
      Muss ich bei der Rücksendung noch etwas beachten?
      Ich bitte um eine kurze Bestätigung, gerne per Email.

      Mit freundlichen Grüßen
      Name
      Adresse

      Ort, den 30.03.2019

      • Moggadodde sagt:

        Prima, herzlichen Dank für diesen Kommentar, der sicher hilfreich ist für manche, die über dieses Posting stolpern. Ich drücke die Daumen, dass der Widerruf für Ihren Vater erfolgreich ist!

        • Helge Hirschfelder sagt:

          Moin, alles gut gegangen, ich habe heute eine sehr freundlich verfasste Email von der DGG erhalten und bekomme einen frankierten Rückumschlag für die Retoure zugeschickt, völlig problemlos.

          • Moggadodde sagt:

            Super, danke für die Rückmeldung! Freut mich, dass der Widerruf so problemlos geklappt hat!

  2. Matthias sagt:

    Weiß jemand wie ich die super tolle Münzen verkaufen kann
    Danke

  3. Karl Münzer sagt:

    Uhiesiger

    Ich habe den Passus, dass für mich Münzen reserviert werden auch einmal übersehen. Ich habe außer der gewünschten Münze keine weiteren reservierten bestellt. Nach §§ 241a und
    305 BGB muss man unbestellte Ware nicht bezahlen und auch nicht zurücksenden!
    Der „Trick“ bei DGG ist doch, dass man dieser „Firma“ vertraut und die Geschäftsbedingungen eben nicht so genau liest. Man bekommt dann aber recht teure, nicht gewünschte Münzen zugeschickt und müsste diese dann eben zurückschicken! Man ist doch aber nicht bei DGG angestellt und müsste DGG den Aufwand in Rechnung stellen.

    Einen Versuch ist es wert!

  4. Moggadodde sagt:

    Ja! Danke für diesen Beitrag!

  5. Heinz-Jürgen Schmidt sagt:

    hallo moggadodde,
    ein lustiger Beitrag!! Sind alle ‚Ollen‘ so verpennt?? Ich bin ja auch schon an die 80, aber lesen, denken usw. funkt noch ganz gut.
    Zu dem Artikel kann ich nur sagen:
    Yippeeh, was ein Glück, ich habe Berliner Zeitung vom 18./19.4.20 gelesen, und was findet mein waches Auge da? Einen Wertscheck über 70 Euro für einen hochglanzpolierten, 24-karätig vergoldeten Fernsehturm PLUS eine ebenso behandelte 1 DDR-Mark. Was bin ICH selig, denn alles zusammen würde nur 10 Euro statt der angedachten 80 kosten, wenn ich es denn nehmen tun würde – hi hi.
    Aber das wäre ja doch noch günstiger als die Deutsche Einheit…
    Ach so: Das dann abgeschlossene Abo wird übrigens schon auf dem beigelegten Abrufschein angekündigt, direkt da wo ich mich mit Name, Adresse, Datum und Unterschrift verewigen und die dann auch noch gratis zurückschicken würde. Sogar Porto noch gespart – billiger gehts doch gar nicht. Also: Brille auf und Pfoten weg!
    Und noch ein Ach so: Dieses Zeug ist eigentlich nie wieder zu versilbern; verschenken geht noch (würde ich bei dem Plunder nicht machen), ansonsten wegschmeissen, wenns nicht mehr gefällt.
    Gruss, Schmidti

    • Moggadodde sagt:

      Schmidti, vielen Dank! Neinnein, nicht alle Senioren lassen sich behumsen, die meisten sind sogar richtig auf Draht, wie man an Deinem Beispiel sieht! Trotzdem müssen der Medaillenmafia noch genug Leute auf den Leim gehen, sonst gäbe es die Angebote nicht mehr.
      Wegwerfen, ja. Schade ums Geld. Aber besser ist ja noch: Gar nicht erst drauf reinfallen!
      Viele Grüße!

  6. Thomas Rolfes sagt:

    Moin. Ich hatte diese Werbung in der letzten Ausgabe der Loyal, einer Zeitschrift vom Reservistenverband! Da war sogar eine 1 Cent Münze aufgeklebt. Super, die schenken mir Geld. Den Cent in die Spardose, und den Rest in den Schredder, wo personalisierte Werbung hingehört

  7. Max sagt:

    Einfach Abrufschein mit Max Mustermann ausfüllen und ab in die Post. DGG übernimmt Porto.
    Max

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert