Ausgeliefert

Mein positive-thinking-pool ist wieder halbwegs gefüllt, obwohl der heutige Besuch bei meinem Vater im Grunde nicht bedeutend besser war als der Gestrige. Von einigen wenigen, wachen, hilflos-stummen Momenten abgesehen ist sein Zustand unverändert, wenngleich ich das Gefühl habe, dass er ganz leicht nickte, als wir mit ihm sprachen und ich meine mir sogar einzubilden, dass er versuchte, seinen Mund zum Kuss zu formen, als meine Mutter ihn auf die bleichen, eingefallenen Wangen küsste.
Mein Bruder, der eher vor Ort war, berichtete vom Kurzbesuch eines Arztes. Dieser wehte kurz ins Zimmer und Brüderchen wollte gerne genaueres über die Operation erfahren und über das weitere Procedere. Der Dottore hob an und erklärte „Na, und die Lymphe sind ja auch raus“ und Brüderchen meinte „Wie? Ich dachte die sind noch drin. Die Operation musste meines Wissens doch abgebrochen werden …“ Der Kittel blätterte blasiert in der Akte und sagte dann lapidar: „Ach, die sind ja doch noch drin.“ Die Frage nach der Medikation und dem schleppenden Fortgang der Genesung beantwortete er kurz und knapp mit dem Satz, den der angehende Humanmediziner sicher im ersten Semester eingebläut bekommt: „Das ist alles ganz normal„. „Ganz normal“ ist es für ihn sicher auch, dass der Arzt ganz offenbar keine Ahnung hat von dem Patienten, den er besucht und ich fände es sinnvoll, dass der Weißkittel vielleicht mal in den Akten auch eines Kassenpatienten guckt, bevor er die Angehörigen verkohlt. Depp, der! Außerdem hat sich Brüderchen noch einen bösen Rüffel eingefangen, weil er die im Zimmer liegenden Krankenunterlagen las. „Nur mit Genehmigung des Stationsarztes!“ sei der Einblick in die Akten möglich und die kesse Frage, ob denn jemand von uns Angehörigen eine Einwilligung zur Fixierung des Patienten gegeben hätte, berief man sich auf ein „Notwendigkeitsgesetz“ o.ä. schwammiges Zeug. Die Krankenschwestern sind allerdings dafür umso umgänglicher. Freundlich, ruhig-resolut und vollkommen ungehetzt, was mit Sicherheit daran liegt, dass auf der Intensivstation eher die massiv sedierte und damit ruhigere Kundschaft zu finden ist, die naturgemäß nicht pausenlos wegen Zugluft, unbequemer Liegeposition, schnarchender Zimmergenossen oder zu kalter Bettpfannen aufmuckt. Die Medizin läuft bequem durch zahllose Schläuche und selbst die zeitaufwändige Essensverteilung entfällt, weil die Mahlzeiten ganz stresslos allein durch die Sonde tröpfeln. An besorgte, hilflose und weinende Angehörige muss man sich allerdings gewöhnen und hier wäre ich als mitfühlende Heulsuse Numero Uno sowieso eine absolute Fehlbesetzung. Krankenschwester ist für meine Begriffe ohnehin nicht nur ein Beruf sondern eher eine Berufung.

Gegen ihren Widerstand schleppten wir meine Mutter, die heute Geburtstag hat, in die Trattoria meiner Tante (= ihre kleine Schwester) die uns und insbesondere unsere Mutter mit ihrer wunderbar einfühlsamen Art und einigen unterhaltsamen Anekdoten und lustigen Geschichten aufmunterte und uns bei Prosecco und Pizza sogar herzhaft lachen ließ. Das hat uns wirklich gut getan und hat meiner Mutter einen nicht gänzlich trostlosen Geburtstag zwischen Bangen und Hoffen beschert …

Euch einen ganz schönen Abend wünscht
moggadodde

Dieser Eintrag wurde in Daily Soap veröffentlicht.

7 commenti su “Ausgeliefert

  1. barbara sagt:

    solche Ärzte schaffen Vertrauen;-(
    Es ist sehr schwer, so hilfslos zu sein. Ich werde nie verstehen, warum man seine eigenen Krankenakten nicht lesen darf.
    liebe Grüsse von mir

  2. moggadodde sagt:

    Die Geheimniskrämerei dient meines Erachtens ohnehin nur zur Möglichkeit der Verschleierung evtl. Kunstfehler …
    Meinem Vater geht es besser! Er trägt jetzt einen Pyjama statt des Tuches und ist nicht mehr fixiert. Sprechen geht nicht aber er schrieb meiner Mutter einen Zettel auf dem krakelig aber halbwegs leserlich stand: „Die Ärzte sind alle Verbrecher!“ Er scheint also so langsam wieder in Form zu kommen 😉

  3. socki sagt:

    Wenn er schon wieder meckern kann, gehts aufwärts. Mein Vater war noch Tage nach der OP total durcheinander und aggressiv. Das lag am Alkoholentzug.
    Dieses Halbgottinweißgetue geht mir auch ziemlich auf den Senkel. Gottseidank hab ich eine Schwester, die Krankenschwester ist. Die kann einem die Arztbriefe dann übersetzen und versteht, was die Herren in Weiß so verzapfen. Wenn die dann mit jemanden reden, der Ahnung hat, läuft das auf einem ganz anderen Level ab.
    Gute Besserung noch und für Dich einen Sack voll Kraft.

  4. barbara sagt:

    ist schon kurios sich zu freuen, wenn einer wieder meckert 😉 Hört sich aber gut an.

  5. Anne sagt:

    Ja, hört sich wieder gut an. Hoffentlich gehts dann mit ihm auch weiter bergauf. Ich drücke euch da fest die Daumen.
    So wie bei euch läuft es ja in jedem Krankenhaus ab … leider. Der unmündige Patient halt …

    Ich finds aber total schön, daß ihr deine Mutter so gut ablenken konntet – und ihr offensichtlich einen wunderschönen Geburtstag bescheren konntet.

  6. moggadodde sagt:

    Danke Euch herzlich! Heute ging es ihm wieder nicht mehr so gut. Gestern hat er sich die Sonde rausgerupft und scheinbar wurde er heute wieder „kaltgestellt“. Er weiß aber jetzt, wo er ist und reagiert mit Blicken auf Ansprache. Frühestens Ende der Woche ist mit Verlegung zu rechnen und dann bekommt er noch einen Sprechknopf in den Hals implantiert …

  7. Niklas sagt:

    Eine turbulente Geschichte, mal zum Nachdenken, aber auch zum Schmunzeln. Vielen Dank dafür, dass du deine Gedanken und dieses Erlebnis mit uns geteilt hast. Beste Grüße!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert