Das Schweigen der Schweine

Hubert wollte eigentlich nur einen kleinen Verdauungsspaziergang machen. Das Abendessen in der Jagdhütte war wieder verdammt opulent ausgefallen, da ließ sich der Chef nicht lumpen, auch wenn er sonst eine echte Kanaille ist! Er kannte Firmen, die unternahmen einmal im Jahr einen Betriebsausflug nach Heidelberg oder Bad Hersfeld oder Düsseldorf, ollinkel, das hält der Boss aber für üble Verschwendung karger Unternehmensgroschen und lädt statt dessen einmal jährlich in seine Jagdhütte mitten im Schwarzwald. „Ist eigentlich auch nicht so übel“, dachte Hubert und kickte seinen widerlichen Zahnpflegekaugummi auf eine Sammlung Pilze am Wegrand. „Ey, du Sau“ hörte er plötzlich eine Stimme aus dem Dickicht und schaute sich erschrocken um. „Ja, dich meine ich du Dreckstück! Spuckst du daheim auch deine verfluchten Kaugummis auf den Boden?“ Hubert schoss zuerst gehörig das Blut in den Kopf, er hasste es, ertappt zu werden. „Kommen Sie aus Ihrem Versteck“, sagte er laut, „das ist ja wohl keine Art, unschuldige Spaziergänger zu Tode zu erschrecken“. Er vermutete einen eifrigen Förster oder einen Naturschützer, der ein bisschen viel Engagement zeigte und war umso verblüffter, als ein starkes, mindestens 5 Zentner schweres Wildschwein aus dem Unterholz kam.

Es war ein Keiler, was Hubert, der mit seinen Kindern gerne mal einen Wildpark besuchte, an den mächtigen Hauern gleich erkannte. „Da glotzt du, was? So Leute wie dich haben wir hier schon gefressen, echt! Kommen hier einfach reingestelzt und versauen uns den Lebensraum! Willst du etwa in so einem Dreckstall wohnen?“ fragte der Keiler provokant und Hubert sah, dass der kleine Ringelschwanz aufgebracht wackelte. „Es war doch nur ein Kaugummi, verflucht! Normalerweise schluck ich ihn ja auch runter“ versuchte Hubert den Keiler ungeschickt zu beschwichtigen. Das gefiel dem Wildschwein aber auch nicht: „Brauchst jetzt hier gar nicht groß rumzusülzen, Depp. Du wirst jetzt das Ding suchen, aber zackig, und dann kannst du ihn ja noch runterschlucken, du Schwein.“ Zunächst machte Hubert keine Anstalten, der eindeutigen Aufforderung zu folgen, aber als der Keiler laut grunzend einige Schritte näher kam, ließ er sich schnell zu Boden plumpsen und fingerte mit zittrigen Händen zwischen dem Gehölz herum. „Ich weiß gar nicht was du hast“, meinte er leise. „Es ist doch ziemlich sauber hier und …“ „Schnauze!“ keifte der Eber. „Sauber? Sauber? Wart mal … Luziiiii!“ schrie er laut und mit einem lauten Krachen schlug ein zweites Wildschwein durchs dichte Fichtendickicht. „Erzähl’ mal dem Arschloch da vorne, was du in der letzten Zeit gefunden hast!“ forderte der Keiler die Wildschweinfrau auf. „Ist das noch so einer?“ fragte die Bache mit bedrohlichem Unterton und der Keiler nickte wütend. „Letzten Monat lag eine komplette Wohnzimmereinrichtung am Rand von der Lichtung da hinten“ – „Eiche brutal …“ fiel der Keiler ein – „ja und total hässlich dazu! Am Mittwoch erst hat wieder einer einen Bosch-Kühlschrank hier abgeladen und von den verdammten Plastiktaschen, Lümmeltüten und Bierpullen will ich gar nicht anfangen!“ schloss Lizzi. Inzwischen hatte Hubert den Kaugummi unter modrigem Laub hervorgepfriemelt und weil der Keiler mit seinem riesigen Körper immer näher kam, ließ er ihn mit zusammengekniffenen Augen in seinem Mund verschwinden. „So leicht kommst du aber nicht davon. Irgendwann müssen wir Waldbewohner einfach mal Butter bei die Fische geben und ein Exemplar konstruieren!“ sagte der Keiler. „Exempel statuieren“, soufflierte Lizzi und der Keiler grunzte: „Ist ja schnuppe, von mir aus auch das. So, los jetzt, du verdammte Memme: Auf die Beine mit dir und mitkommen!“ befahl das Männerschwein jetzt mit schriller Stimme. Zitternd erhob er sich und als bei beiden sahen, dass sich der entsetzte Hubert beim Kaugummisuchen in seine Lodenhosen gepinkelt hatte, stampften sie kreischend so fest auf den weichen Boden, dass dieser sogar ein bisschen bebte.
Hubert musste vorausgehen, die beiden Wildschweine folgten ihm auf dem Fuß, schubsten mit ihren fleischigen Nasen immer wieder gegen seine Beine, um ihn anzutreiben und stießen hinter ihm immer gemeinere Beleidigungen aus.
Jetzt gelangten die drei nach kurzem Weg an einen großen, alten Öltank und Hubert sah, wie die Bache geschickt mit der Schnauze eine kleine Tür daran öffnete. Der Keiler trieb ihn nun in das große Fass und kriechend bewegte sich Hubert vorwärts hinein: „So, du furzende Mistfliege. Du wirst unsere Wohnung nun nicht mehr versauen können. Sei einfach unser Gast! Du weißt ja, am dritten Tag fangen Fische und Gäste an zu stinken. Hey Saftsack, ich bin sicher, bei dir dauert’s nur ein bisschen länger! Halt! Stop! Du darfst noch was sagen“ meinte der Keiler, „das machen die in den Filmen doch auch immer so“ und Lizzi kicherte jetzt blöde wie eine Hyäne.
Hubert, plötzlich seltsam gefasst, antwortete ruhig und mit festem Blick in die Augen des fetten Keilers: „Meine 15 Kollegen und ich haben vorhin Wildschweinbraten gegessen, vielleicht war’s ja sogar deine Schwester“, sagte Hubert langsam. „Es hat mir prächtig geschmeckt und ich hoffe, dass es auf meiner Beerdigung Wildschweinbraten geben wird. Außerdem solltet ihr dringend an euren Umgangsformen feilen und eure Reaktionszeit ist ja auch mehr als blamabel. Guckt euch mal um, ihr Schweine!“
Als der Keiler und Lizzi sich behäbig umdrehten, schauten sie in die Läufe zweier großkalibriger Jagdgewehre, zwei Kaugummi kauende Männer zielten direkt auf ihre mächtigen Schädel.
„Der Chef hat gesagt, wir sollen dich suchen“, meinte einer der Männer. „Als der Alte gesagt hat, in diesem Wald sei etwas faul, wollte ich ihm nicht glauben“, sagte der andere nachdenklich. Beide brauchten jeweils nur einen Schuss aus der Flinte um die Schweine zum Schweigen zu bringen.

Dieser Eintrag wurde in Utopia veröffentlicht.

9 commenti su “Das Schweigen der Schweine

  1. markus sagt:

    wieder eine moggadoddsche kurzgeschichte in gewohnt souveräner art. sehr gut!
    aber was zum teufel bedeutet ‚ollinkel‘? bin ich wohl zu blond im moment… *kopfkratz*
    oder heißt das etwa all inclusive? *geistesblitz*

  2. moggadodde sagt:

    Danke, markus! Genau. Es regt mich nämlich immer schrecklich auf, wenn die Leute diese Verpflegungsart so verballhornen. „Wir fahren zwei Wochen nach Malle. Ollinkel, natürlich, was anderes geht ja gar nicht!“

  3. babs sagt:

    Na, so eine Schweinerei im dichten Fichtendickicht.
    Schöne Geschichte.

  4. Mephisto sagt:

    Ich muß ins Bett schlafen, ganz dringend schlafen. Ich schreibe jetzt lieber nicht, was ich in Babs ihrem ersten Satz zuerst gelesen hatte…

    @mogga: schön geschrieben 🙂

  5. moggadodde sagt:

    @ babs: Danke! Ich habe hin und her überlegt, als ich das schrieb, woher zur Hölle ich das kenne, aber ich kam nicht drauf. Kennst du den Zungenbrecher ganz?

    @ Mephisto: Es würde sicher nicht nur mich brennend interessieren, was du unter dem Einfluss von Schlafentzug da gelesen hast 🙂 und danke!

  6. babs sagt:

    Grad vor Kurzem hab ich’s in einem Schülerhefter gelesen und natürlich wieder vergessen. Die Suchmaschine mit den zwei O spuckt verschiedene Varianten aus. Am besten zum Versprechen sind, glaub ich, diese:
    Hinter dichtem Fichtendickicht picken dicke Finken tüchtig.
    In einem dichten Fichtendickicht nicken dicke Fichten tüchtig. Dicke Fichten nicken tüchtig in einem dichten Fichtendickicht.

  7. barbara sagt:

    Wildschweine sind auch nicht mehr das, was sie mal waren.
    Schöne Geschichte Mogga 😉

  8. azahar sagt:

    Spannende Geschichte! – aber die armen Schweinderln! 😉

  9. moggadodde sagt:

    @ babs: Genau, so ähnlich kenne ich das auch … Ich finde es eigentlich gar nicht schwer zu sagen. Es gibt sicher schlimmere Zungenbrecher 🙂 Das mit dem Blaukraut finde ich sauschwer!

    @ barbara: Danke. Nee, aber sie schmecken immer noch!

    @ azahar: Nix, arme Schweinderln. Wenn die durchdrehen, wächst kein Gras mehr!

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