Code Coiffeur

Ruhig liegt seine feingliedrige Hand auf ihrem Oberschenkel. „Komm“, sagt er leise, „jetzt sag mir nicht, dass du es nicht auch willst“. Durch die schmierigen Fensterscheiben schaut sie hinaus. Die Laternen der Hauptstraße tauchen das alte Gebäude gegenüber in ein komisch gelbliches Licht.
Anfangs fand sie es aufregend, mit ihm ziellos durch die Gegend zu fahren. Keine andere hatte einen Freund, der schon einen Führerschein und ein eigenes Auto hatte und als sie vorhin am Marktplatz unter den neidischen Blicken ihrer Schulfreundinnen eingestiegen war, hatte sie sich so überlegen gefühlt! Sie hatte sofort das Fenster hinuntergekurbelt, den Arm lässig in die kühle Luft gehalten und den Fahrtwind genossen, der durch ihr langes, blondes Haar wehte. Sie hatte ihn angelächelt und er schüttelte lachend den Kopf, was sie als Hinweis deutete, dass er sein Glück, so eine Sahneschnitte wie sie durch die Stadt kutschieren zu dürfen, kaum fassen konnte. Ihre Mutter war immer so zickig, wenn es um Jungs ging; sie hatte sicher gut daran getan, ihren neuen Freund daheim noch mit keiner Silbe erwähnt zu haben. Nur ihre Freundinnen wussten Bescheid.
Sie friert. Der Rock, eher das Fähnchen, das sie trägt, hat sie heute nur für ihn aus dem Klamottenwust in ihrem Schrank gezogen. Für ihn und auch um ihre Mutter zu ärgern, die ein Ausbleiben über Nacht, wenn es ein Wochentag war, noch immer nicht erlaubte. Scheiße, sie war 14, bald 15! Alle aus ihrer Klasse hatten so coole Eltern! Nur sie musste sich daheim mit altmodischen, rückständigen Erzeugern rumschlagen, die immer misstrauisch waren und wissen wollten, mit wem sie wo und wann war, sie kam sich oft vor wie im Knast. Und je mehr sie in sie drangen und nachbohrten, desto weniger hatte sie erzählt. Im Geschichtenerfinden war sie eine richtige Expertin geworden!

„Hey, Süße“, flüstert er jetzt beruhigend, „probier’ doch mal! Das macht echt total locker“, aber als er ihr die Tüte in den Mund schieben will, greift sie nach seinem Handgelenk und schiebt sie weg. „Lass’ das, ich hatte gestern schon genug“ lügt sie. Gerne hätte sie ihm gesagt, dass es in dieser vernebelten Drecksbude stinkt wie im Affenhaus im Frankfurter Zoo, aber sie will ja nicht als verweichlichte Lusche erscheinen. Tief inhaliert er seinen Zug und wirft den Joint in die gläserne Vase auf dem kleinen Tisch. Er greift nach der halbvollen Flasche Jack Daniels und bietet ihr einen Schluck an, den sie bereitwillig nimmt, denn ihre Kehle ist wie ausgedörrt. Jetzt beugt er sich herüber zu ihr, nimmt ihren Kopf in die Hände und küsst sie lange. Seine Zunge schiebt sich wie eine Schlange in ihren Rachen, züngelt hektisch in ihrem Mund hin und her und mit einem Schlag findet sie ihn ziemlich eklig. Er hat Warzen an den Händen und dreckige Fingernägel. Wieso hat sie das vorher nie bemerkt? So gern hätte sie morgen in der Schule damit geprahlt, dass sie „es“ endlich getan habe, endlich eine richtige Frau wäre. Aber so hat sie sich das nicht vorgestellt. Nicht so.
Ihr Telefon klingelt. „Lass es klingeln“, sagt er aber sie erwidert: „Ich muss rangehen, das ist meine Mutter. Die dreht sonst wieder durch.“ Sie meldet sich, erzählt, dass sie mit ihren Freundinnen bei Matze in Steinbrunn sitzt und eine Menge Spaß hat. Klar wird sie um 10 daheim sein. „Mama? Die Friseuse hat echt gepfuscht!“ schließt sie, wartet einen Moment und verabschiedet sich mit einem kurzen „Bis dann!“

Er greift wieder nach ihrem Schenkel und seine Fingerspitzen schieben sich grabend unter ihren Slip. Sie presst die Beine zusammen und stöhnt, was er als Bestätigung ihrer Erregung deutet, doch tatsächlich hat sie plötzlich Angst. Immer fordernder werden seine Hände, sind unter dem T-Shirt, in ihrem Gesicht, in ihrem Schritt, überall. Sie bemerkt jetzt seinen immer schneller werdenden Atem, er drückt sie in die Couch mit seiner kräftigen, linken Hand und ihre Brüste tun weh. „Nein“, sagt sie gepresst, „ich will das nicht. Hör auf!“, aber er antwortet nur: „Stell dich bloss nicht so an. Du willst das doch auch! Wozu sonst bist du mitgekommen?“. Sie rutscht ein Stück von ihm weg und antwortet betont lässig: „Ja denkst du das geht so einfach? Ich brauche schon ein bisschen Stimmung dazu. Das ist ja überhaupt nicht romantisch hier. Mach’ doch mal Musik!“ Er steht auf, fährt mit den Fingern über seine verstaubte CD-Sammlung und legt George Michael auf. Damit hat er noch jede flachgelegt. Er kramt in den Schubladen seines Schrankes und holt mit verächtlichem Blick eine Kerze heraus, die er mit seinem BIC anzündet. „Bier“, sagt sie, „ich würde gerne ein Bier trinken. Hast du eines da?“
Er holt ein Bitburger aus dem Kühlschrank und stellt es auf den Resopaltisch. „Weißt du, wie alt ich bin?“ fragt sie und er antwortet: „Sicher, Kleine. Gerade das gefällt mir ganz besonders an dir! Findest du nicht, dass du mir ein bisschen dankbar sein solltest? Immerhin sind einige Girls aus deiner Klasse gelb vor Neid …“ Sie nickt und flüstert: „Wenn die wüssten …“ Er rutscht näher und sagt: „Ja, nicht wahr? Jede wäre jetzt gern an deiner Stelle.“ Er streichelt ihren Kopf und seine linke Hand liegt wieder zwischen ihren Beinen. Sie betrachtet die Sammlung von Schnapsflaschen auf dem Fensterbrett. „Ja, ganz sicher“, sagt sie langsam und ihr Blick fällt auf die Uhr neben dem kleinen Fernseher. „Aber ich will immer noch nicht.“ „Jetzt habe ich alles gemacht, wie du es wolltest“, sagt er schnell und nestelt an seinem Stall herum, „los, jetzt will ich’s aber wissen!“ Er lässt sich mit offener Hose neben sie fallen und grabscht ihr sofort an den Busen. Er atmet schnell und sagt: „Boah, 14, das ist ja echt scharf. Und ich bin sicher der Erste?“, als er sich schwer und stinkend auf sie legt. Sie starrt ihm schockiert ins Gesicht und versucht mit aller Kraft aber erfolglos, ihn von sich herunter zu schieben, als es plötzlich klingelt. „Wer zum Teufel stört jetzt?“ schreit er entnervt, zieht sich die Hose hoch und öffnet die Tür.
Sofort trifft ihn ein mächtiger Schwinger auf die unförmige Nase, die umgehend blutet und gleich hübsch dick anschwillt.
Ein kräftiger Mann betritt die dreckige, kleine Wohnung, steigt über den Verletzten und betritt das Wohnzimmer, wo das Mädchen auf der dunkelgrünen Couch die Arme fest um die Beine geschlungen hat und ihn mit großen Augen ansieht. „Hat Mama …?“ „Natürlich“, sagt ihr Vater, „du kennst doch deine Mutter. Überall hat sie ihre Fühler und Verbindungen. Und das mit dem Notfall-Code war ja wohl auch ihre Idee.“ „Ja“, sagte das Mädchen befreit, „aber warum es unbedingt dieser Satz mit der Friseuse sein muss … Ist ja voll peinlich …“ sagt sie und lächelt schon wieder. Der Vater nimmt seine Tochter fest in den Arm, steigt über den blutenden Kerl und führt sein Mädchen zügig an den Kombi. „Sicher ist das peinlich“, sagte er, „aber denk an die Alternative!“. Das Mädchen lässt sich in den Sitz fallen und schließt erleichtert die Augen. Ihre Alten waren echt so cool …

Dieser Eintrag wurde in Utopia veröffentlicht.

9 commenti su “Code Coiffeur

  1. wuestenfloh sagt:

    Vielen Dank für das Happy End! Es spricht der Vater einer Tochter (die allerdings schon 17 ist).

  2. biffo sagt:

    Das ist es warum man im Alter fit sein muß 🙂 oder Mutterliebe ist eine Schlüsselerfindung der Natur

  3. socki sagt:

    Das arme Kind. Aber nur durch so eine Erfahrung lernt man besser hinzugucken.
    Das mit den Notfall-Code muß ich mir merken.

  4. markus sagt:

    was soll ich sagen? gut geschrieben wie immer. verarbeitest du mit dieser geschichte deine sorgen um dixie, schatzi?

  5. Ekke sagt:

    Die Sache mit dem Notfallcode ist wirklich genial!
    GsD haben wir das „kritische“ Alter unserer beiden Töchter auch ohne diese tolle Idee gut überstanden! 😉

  6. moggadodde sagt:

    @ wüstenfloh: Bei dieser Thematik käme mir ein unhappy end auch gar nicht aus den Fingern. Vielleicht weil ich gerade mittendrin bin käme ein anderes Ende gefühlsmäßig einem Herbeireden der Katastrophe gleich.

    @ biffo: Auch ohne die Aussicht, einem potenziellen Gefährder der Frucht seiner Lenden eins auf die 12 geben zu müssen, lohnt sich ein gewisses Fitness-Level wirklich auch im Alter: Bei Adli am Montagfrüh wird immer mit harten Bandagen gekämpft 😉

    @ socki: Als Mutter ist man ja immer immer auf alles gefasst, zumal mit Tochter in dieser prekären Zeit. Aus solchen Erfahrungen könnte man tatsächlich lernen aber was, wenn der Akku leer gewesen wäre? Wenn sie das Telefon nicht gehört hätte? Ach, ich höre die Flöhe husten, ich weiß. Das zweite Abnabeln ist bestimmt schmerzhafter als das erste … 😉

    @ markus: Natürlich, Schatzi! Dixie ist auf der Pirsch und das aktuelle Objekt der Begierde kenne ich nur von Fotos, es ist aber schon 18 oder 19 und wird bestimmt nicht die Reise nach Jerusalem mit ihr spielen. Sie wird, verdammt, im Januar erst 15 und ich versuche, meine Hysterie tief drin zu lassen und die lässige Mom zu mimen und nicht zu hart zu reagieren, wenn es wieder mal ums Wegbleiben geht. Ich war früher genauso wie sie jetzt ist, aber ich bilde mir ein, dass bei mir das Verhältnis Intellekt zu Körperentwicklung eher gepasst hat …

    @ Ekke: Irgendwann werde ich auch über meine Ängste das betreffend lachen können. Die Balance zwischen Vertrauen und Kontrolle ist oft nicht einfach. Natürlich müssen sie auch Fehler machen. Aber manche Fehler machen viel mehr kaputt als dass sie einen voranbringen würden …
    Schön, dass ihr das schon hinter euch habt!

  7. biffo sagt:

    Keine Ahnung wie das so bei Aldi Montagfrüh so abgeht. Jedenfalls habe ich bei drei Kinder, darunter auch ein Mädchen, miterleben dürfen wie sie Erwachsen werden, dabei auch viele Nächte mit wenig Schlaf verbracht, vor allem wenn dann der Abschleppdienst anruft und fragt wo das Schrotauto hinsoll. Das ist das Los das alle Eltern ziehen. Aber ich würde alles wieder so machen.

  8. socki sagt:

    Ich hab da alleine durch müssen. Meine Mutter hat mich immer gewarnt aber gehört hab ich da nie drauf. Gottseidank mußte ich die ganz üblen Erfahrungen nie machen. Ich hatte Glück. Ich glaube nicht, daß mein Vater dem Kerl eine aufs Maul gehauen hätte, eher hätte ich wahrscheinlich eine gefangen, weil ich mitgegangen wäre.

  9. moggadodde sagt:

    @ biffo: Ich wäre wahrscheinlich sofort zu Boden gegangen, wenn mich der Abschleppdienst angerufen hätte … Hoffentlich war es kein zu schlimmer Unfall!
    Die Sorge, bzw. die Gedankenmacherei hört sowieso nicht auf. Elternschaft = 1 x lebenslänglich (im positiven Sinn!)
    Und ob ich alles wieder so machen würde, kann ich in ein paar Jahren auch beurteilen 😉

    @ socki: Meine Mutter tat ihr bestes, mich zu behüten, aber ich war eben, so wie Dixie, „mit allen Wassern gewaschen“. Du hattest wirklich Glück …

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