Salz oder Leben! – Zwei –

2.

Sofort bin ich von drei ebenfalls in Uniform gewandete Zöllnerkollegen des winzigen Asiaten umringt. Während dieser mein Gepäck achtlos wieder in den Koffer quetscht, greifen mich zwei von den Typen an den Armen und halten mich fest wie eine taubstumme Blinde, die im Begriff ist, eine viel befahrene Hauptstraße zu überqueren.
Durch eine Menge glotzender Gaffer bringen sie mich in ein fensterloses Kabuff und drücken auf meine Schultern, was wohl bedeuten soll, dass ich mich auf den vor mir stehenden Klappstuhl drapieren soll. Einer der Wächter verlangt meinen Ausweis, macht sich krakelige Notizen und reicht ihn mir wortlos zurück. Jetzt kommt auch der grimmige Bonsai mit meinem Koffer in der einen und der Plastiktüte in der anderen Hand in den Raum und setzt sich hinter einen abgeschrammelten Resopaltisch, auf dem sich ein Stapel welliges Papier nebst Kugelschreiber und ein altertümliches Telefon mit Wählscheibe befindet. Allzuviel scheinen die hier am Airport nicht zu tun zu haben und die Wächter lassen mich mit dem Bonsai-Zöllner jetzt allein.


Sofort gibt er Gas. „Is this yours?“ bellt der böse guckende Bangkokese hinter seinem Tisch hervor und zeigt auf den großen, durchsichtigen Plastikbeutel. Jetzt pfriemelt er die große Tüte auf, holt Stück für Stück die darin befindlichen zwölf weiteren, kleinen Plastikbeutel heraus und legt sie fein säuberlich in einer Reihe vor sich auf den Tisch. In jedem der Beutelchen befinden sich exakt 20 Tabletten, ich weiß das, denn ich habe sie ja da selbst eingefüllt.
„Sir, yes, Sir!“ brülle ich zurück denn Jetlag und Übermüdung machen mich leicht übermütig.
Er kreischt laut: “So, what the hell is that?” und mir fällt auf, dass er sich so in der gleichen Stimmlage wie der sadistische Aufseher in Rambo 2 bewegt. “It’s a kind of medicine!” antworte ich nun, so präzise ich kann. „I need it to receive my health!“ schiebe ich nach, bin aber nicht sicher, ob der Kerl kapiert, was ich meine.

Er funkelt mich durch seine schmalen Sehschlitze an und zischt: „I think, it’s a kind of drug!“. Von den Füßen her wird mir komischerweise irgendwie kalt. Thailand und Drogen. Das passt ungefähr genauso gut zusammen wie die Triaden und Mutter Teresa. „And I think, that you are a fucking junkie!” zischt er noch gepresst hinterher und ich bilde mir ein, dass er winzigkleine Eiswürfel aus seinen Augen feuert. Ich muss vorsichtig sein.
„Oh no, you are on the wooden way!“ Jetzt verlassen mich plötzlich auch noch meine Englischkenntnisse, was ziemlich peinlich ist, aber der Typ mit seiner Vietnam-Visage macht mich echt nervös. Ich sehe mich schon in irgendeinem bambusgetäfelten Wasserverlies mitten in namenlosen Reisfeldern, mit Blutegeln bestückt und von kalaschnikowbewehrten Soldaten bewacht und meine Visionen bewirken, dass ich mich noch auffälliger benehme und offensichtlich unruhig werde. Schon spüre ich, wie mir eine Schweißperle am Rückgrat entlang rinnt und schwöre hoch und heilig, nie wieder gemein zu dicken Kahlköpfen oder schwätzenden Hessen zu sein, wenn ich nur wieder heil hier aus diesem Raum komme.
„It’s a special kind of medicine. A lot of people in Germany are sure, that it works!”, versuche ich dem Bonsai zu verklickern.

Der kleine Verhörer merkt, dass er auf die Tour nicht weiterkommt mit mir und meinen für ihn schleierhaften Erklärungen. Er greift zum Hörer und blubbert anscheinend in seinem Heimatidiom irgendwem ein Schnitzel ans Ohr. Er sitzt kerzengerade auf seinem Klappstuhl während er spricht, offenbar ist der Gesprächspartner in der Rangordnung über ihm.
Als er aufgelegt hat, schaut er mich sehr lange sehr durchdringend an, mustert meine sauber geputzten Schuhe und meine edlen Klamotten und ich bemühe mich nach Kräften, seinem frostigen Blick nicht auszuweichen, was mir auch für ca. viereinhalb Sekunden richtig gut gelingt.

Die Tür öffnet sich und nun gesellt sich endlich ein Zivilist zu uns. Er ist groß, elegant gekleidet und trägt sein schwarzes Haar zu einem kleinen Zopf gebunden. Lässig sieht er aus und lässt sich vom Bonsai anscheinend die Sachlage erklären, bevor er sich zu mir umdreht. „Mein Name ist Taorang“, sagt er in makellosem Deutsch. „Mr. Denghang hier hat in Ihrem Koffer eine Menge Tabletten gefunden, mehr, als eine Touristin in zwei oder drei Wochen verbrauchen kann. Er meint, Sie wollten Drogen in unser reizendes Land schmuggeln …“. Unverhohlen anklagend lässt er diesen ungeheuerlichen Satz mitten im Raum stehen. „Ich bitte Sie!“ ereifere ich mich laut. „Irgendeine Sorte von Rauschgift nach Thailand zu bringen wäre ja wohl so, als würde ich mit einem Zahnputzbecher Leitungswasser in die Ostsee kippen!“ und bereue meine Metapher sogleich. Mr. Taorang hat keinen gelben Schimmer, wovon ich spreche, das ist ihm deutlich anzusehen. „Das ist kein Rauschgift, wo denken Sie hin?!“ schiebe ich nach. „Das sind Schüßler-Salze!“, stelle ich klar, bin aber gar nicht mehr so sicher, ob dieser Begriff hierzulande irgendeine Bekanntheit genießt. Schnell greife ich mir einen Beutel mit Pillen, halte ihn Mr. Taorang vor die kurze Nase und sage deutlich: „Das ist die heiße 7!“.
Selbst für untrainierte Ohren hört sich das verdächtig nach Junkie-Slang an, finde ich jetzt. „Calcium Phosphoricum, einzunehmen bei akuten Schmerzzuständen aller Art“ schiebe ich deshalb hinterher, bin aber nicht sicher, ob die Information bei Mr. Taorang auf verständigen Boden fällt. „Das hier“, sage ich schrill und greife nach dem Beutel mit der Nr. 4, „ist Kalium Chloratum. Nach Sonnenuntergang mit rechtsdrehenden Bewegungen bei Tiefnebel in handgeschöpftem Himalaya-Wasser aufgelöst oder mit einer Weinbergschnecke in der rechten Achselhöhle bei Vollmond gelutscht hilft es sofort gegen Frostbeulen, Stockschnupfen und Weißfluss!“

In der Folge gebe ich ihm einen Schnellkurs in Sachen Homöopathie im Allgemeinen und die Forschungsarbeit von Willi Schüßler im Besonderen, referiere über den Einfluss von Mineralsalzen auf biochemische Vorgänge im menschlichen Körper und die heilende Wirkung der weißen Wunderbonbons.

Mr. Taorang schaut mich komisch an und sagt, dass er mir kein einziges Wort glaube. „Ich habe auch nicht daran glauben wollen“, sage ich schnell. Ich erzähle ihm, dass mein Blasenkatarrh seit dauerhafter Einnahme von Salz Nr. 8 und meine Lidzuckungen durch das Salz Nr. 6 wie weggeblasen sind. Halb Deutschland sei von der Heilslehre des alten Willi Schüßler beseelt und ob davon denn noch kein Mensch hier im Morgenland gehört habe, wo wir Langnasen in Europa im Gegenteil die traditionelle, chinesische Medizin längst als probate Heilmethode ansehen? Um meine trotz allem fragile und mühsam erreichte Gesundheit auch im Urlaub zu erhalten, müsse ich diese Mittelchen einnehmen. Schüßler sei meine Rettung, ja sogar meine Religion, so wie er und seine Kollegen täglich zu Vishnu oder Shiva oder was auch immer beten würden und ich empfehle ihm, sich doch bitte mal bei der deutschen Botschaft oder bei Google nach der Harmlosigkeit von Schüßler-Salzen zu erkundigen, wobei ich auf das Telefon deute und mir gleichzeitig eine weitere Schweißperle von der Schläfe wische. Noch vor einer Stunde hätte ich um alles gewettet, dass sich die Wunderlehren des ollen Schüßler schon bis in diese Gegend verbreitet hätten, aber hier ist noch vollkommen salzfreies Gebiet, wie es scheint.

– Fortsetzung folgt –

Dieser Eintrag wurde in Utopia veröffentlicht.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert