Fortschreitender Verfall

Vier volle Tage ohne Frühstückszoff, verspritzte Badezimmerspiegel, Gerangel um den vermeintlich besten Platz auf der Couch und geplünderten Kühlschrank. Der MamS und ich stimmten Dixies Silvesterreise nach Herborn schließlich zu und glücklicherweise hatten Schatzis Eltern Restarbeiten in der alten Wohnung zu erledigen, so dass sie zumindest die Hinfahrt in erwachsener Begleitung antritt und für die Rückfahrt geleitet Schatzi sie bis Frankfurt, von wo der Rest ist ja dann nur noch ein Klacks ist. Sie hat sich eben gemeldet und gefragt, ob ich sie schon vermisse, was ich ehrlicherweise noch nicht bejahen konnte …

Nach den Katakomben, wo heute wegen urlaubsbedingt dünner Personaldecke die Hölle tobte, raste ich in die Stadt, traf mich mit Dixie, Schatzi und seiner Mutter im Juliusspital und brachte sie später zum Bahnhof. Eigentlich mag ich die Atmosphäre auf Bahnhöfen oder Flughäfen, wuselige Aufbruchstimmung, gespannte Aufregung, klackernde Trolleys auf den ausgetretenen Fliesen, Menschen, die sich traurig oder freudig in den Armen liegen aber in unserem hässlichen Bahnhof packt mich nur das blanke Grauen. Pissgelb geflieste Wände dort, wo es „Zu den Zügen“ geht, altbackene Werbefenster, düstere Bahnsteige. Den eigentlich nötigen Toilettengang verkniff ich mir; der letzte Besuch dort hatte mein olfaktorisches Empfinden auf eine harte Probe gestellt. Auch die mit Verkaufsbuden und Tandständen vollgepfropfte Eingangshalle vermag mich nicht anzuziehen. Nur raus hier, schreit mein Gehirn und es ist schade, dass unschuldige Besucher meiner eigentlich ganz hübschen Heimatstadt zuerst diesen Schandfleck zu sehen bekommen. Gerne ging ich durch den strömenden Regen zum Auto, das ich natürlich jwd geparkt hatte und musste mich daheim erstmal völlig ermattet einem Nickerchen hingeben.

Apropos alt: Kennt ihr eigentlich noch Lee Majors? Im Dämmerschlaf hörte ich die Melodie zu dieser antiken Serie „Ein Colt für alle Fälle“, die einen Werbespot für irgendein kugeliges Auto unterlegte. Ich liebte den Kopfgeldjäger Colt Seavers, immer einen lockeren Spruch auf den Lippen hatte, mit seinen beiden Assis, der schnuckeligen Blondine Jodie und dem steifen Cousin Howie. Jedenfalls hätte ich Herrn Majors ohne diese Melodie nicht erkannt. Es wird behauptet, das eigene, fortschreitende Alter würde einem an Kindern am besten vor Augen geführt aber neben einem flüchtigen Blick in den unbarmherzigen Spiegel wurde mir mein, in nicht allzu weiter Ferne ablaufendes MHD heute an unserem gruseligen Bahnhof und dem furchigen Gesicht von Herrn Majors beeindruckend vor die müden Augen geführt. Beide haben, genauso wie ich, ihren Zenit bereits vor einigen Jahren überschritten. Die Bahn AG könnte, wenn sie wollte, den heruntergekommenen Bahnhof generalsanieren. Herr Seavers könnte sich unter die kundigen Messer eines angesagten Chirurgen begeben, was mir, mangels Masse und auch Mumm verwehrt bleiben wird.
So werde ich also „in Würde“ alt, was im Grunde doch nur eine nette Umschreibung für „verschärft faltige Schabracke“ ist und ich hoffe, dass ich den Absprung schaffe, bevor ich so abgerissen daherkomme wie unser Bahnhof oder mein Antlitz aussieht wie ein nach chinesischer Manier geharktes Kiesbeet.

Euch eine geschmeidige Nacht wünscht
moggadodde

Nachtrag:
Passend zum Thema „Bahnhof“ der Mann, der nach dem ollen Röntgen in Würzburg wohl am meisten Popularität besitzt, Herr Erwin Pelzig himself …

Kontrastprogramm

Nach dem desaströsen Tag bei meinen Eltern besuchten wir am gestrigen Abend SchwäSu und ihre Familie. Hier fühlten wir uns wohl, kippten einige Schlappe-Seppel, Jägermeister und Jamaica-Rum und ausnahmsweise strich ich zuerst die Segel. SchwäSu spielte auf ihrer neuen E-Gitarre, ich versuchte „Please come home for christmas“ dazu zu schmettern, wir bereiteten zusammen ein Brunch-Buffet allererster Güte und hatten jede Menge Spaß. Später kamen Schwiegermutter und -vater hinzu und wir hatten einen wunderschönen, zweiten Weihnachtsfeiertag, inkl. geruhsamer musikalischer Bescherung am späten Nachmittag, einem ausgedehnten Spaziergang in den sonnigen Weinbergen, herzlicher Gastfreundschaft und wonniger Wärme. DAS ist Weihnachten. Danke Su., dass wir manchmal verschiedener Meinung sind und doch ein Herz und eine Seele. Danke dafür, dass wir uns oft blind verstehen und trotzdem gegenseitig neue Sichtweisen eröffnen. Du bist die Musik, ich bin das Wort und zusammen sind wir einmalig.

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Bis bald!

moggadodde

Buenos diaz, Messias!

Ihr Lieben habt doch nicht ernsthaft mit dem Gedanken gespielt, ich würde euch heute eine blutrünstige Schlitzerstory präsentieren? No way folks, Leichen gibt es an einem Tag wie diesem auch ohne mich genug.
Da fällt mir allerdings eine Frage ein: Warum nennt man ausgegrabene Knochen von toten Menschen so oft „sterbliche Überreste“? Ich meine, abgesehen von der Tatsache, dass
Naja, ich glaube, dieses Thema behandeln wir doch besser ein anderes Mal.

Wir waren eben bei der Geburtstagsfeier (von Hanns, nicht von Jesus) auf des Nachbarn Terrasse, Glühweinfrühstück und Rostbratwurst. Ziemlich unsexy und dick eingemümmelt begehen wir diesen schon seit einigen Jahren eingerichteten Brauch und rotwangig und sicher gut gelaunt besuchen wir die „Kindermette“ um halb 5, in der Hank im Krippenspiel den Hirten gibt, mit zweizeiligem Text und meinem schrecklichen Hut als Kopfbedeckung sowie dem Kunstfellinnenfutter meiner ungeliebten Winterjacke als Mantel.
Sofort danach wird das Käsefondue (Emmentaler und Greyerzer im Verhältnis 1 : 2) bereitet, es wird langsam und gemütlich gespeist und erst wenn auch Zimteis und die Früchte, von denen ich schrieb, verzehrt sind, findet die Übergabe Bescherung statt und das kann dann locker halb 9 werden. Da bewundere ich meine Kinder dann wieder, wie sie ohne Murren oder Meckern geduldig auf das erlösende Bimmeln warten und manchmal lässt der MamS sie auch noch extra ein wenig länger zappeln …

Zu meinem Leidwesen ist keiner von uns irgendeines Instrumentes mächtig und unsere dünnen Singstimmchen passen nicht wirklich zum festlichen Anlass, so dass wir seit Jahren auf die einschlägigen Gassenhauer verzichten und gleich mit Sekt das diesjährige Weihnachtsfest freudig eröffnen.

Ich halte euch jetzt nicht länger hier auf, macht, was immer ihr heute machen möchtet aber tut mir einen Gefallen: Versucht, nett zueinander zu sein. Ich werde auch mit gutem Beispiel vorangehen.

Meine Lieben, die ihr heute hier vorbeischaut, ich wünsche euch genau das, was ihr euch auch wünscht. Und überhaupt.

Ein dreifach zackiges Hallelujah!
moggadodde

Vier – BEIDE –

Schon wieder ist es so spät geworden, dachte sie sich, als sie auf ihr Auto zuging. Ihr fiel ein, dass sie ihr Duschgel auf dem Regal in der Umkleidekabine vergessen hatte, aber das war ihr egal; es roch ohnehin wie nasser Hund. Mit Grausen dachte sie daran, dass sie am nächsten Tag allein die Stellung im Uhren-Kabuff würde halten müssen. Ihre Kollegin hatte sich den Tag frei genommen und das bedeutete, dass sie nicht einmal zur Toilette würde gehen können, weil der Kundenstrom wieder nicht abreißen würde. Wie gern sie ausbrechen wollte aus diesem kleinen, erdrückenden Leben und der lähmenden Einsamkeit, die ihr manchmal die Luft zum Atmen nahm, die sie langsam zu ersticken drohte!
Hinter ihrem Auto stand ein großer, bärtiger Mann, der sie unsicher anlächelte. Er streckte ihr eine schlanke Hand entgegen und sie sah, dass er ihr das vergessen geglaubte Duschgel entgegenhielt. Er kam ihr bekannt vor, und als er sich endlich, endlich ein Herz fasste und sie mit ihrem Namen ansprach, mit seinem komischen, holländischen Akzent und der dunklen Stimme zu reden begann, spürte sie ein Prickeln im Bauch und eine Gänsehaut auf den Schulterblättern. „Ich möchte dich abholen“, flüsterte er und sie verspürte keine Angst, nur plötzlich brennende Neugierde, die ihre Ohren zum Glühen brachte. Sie wünschte inständig, dass dieses durchdringende Kribbeln im Bauch nicht aufhörte, aufregend, fast schmerzhaft und so … lebendig! Zusammen fuhren sie an den kleinen Hafen, wo er sie durch den Nieselregen zu einem kleinen blauen Boot führte und ihr mit festem Griff auf die rutschigen Planken half. Er brachte sie unter Deck und sie war überrascht; so geräumig hatte sie sich das Innere des Schiffes nicht vorgestellt!
Zart berührte er ihr Gesicht mit der Innenfläche seiner Hand: Genauso hatte er sich diesen Moment ausgemalt, seit er ihr zum ersten Mal begegnet war und als er in ihre Augen sah, wusste er, dass auch sie ihr ganzes Leben auf ihn gewartet hatte. Endlich, endlich hatte er den Mut aufgebracht, den entscheidenden Schritt zu wagen!
Sie vertraute ihm sofort und spürte instinktiv, dass er gekommen war, um sie aus dem todbringenden Treibsand ihres leeren, langweiligen Lebens zu ziehen. Er musste gar nicht sprechen, sie wusste es längst: Der legendäre Ritter in strahlender Rüstung war gekommen, sie mitzunehmen. Der Held, auf dessen Ankunft unzählige andere einsame Herzen ungeduldig warteten, war zu ihr gekommen und trug statt glitzerndem Wams einen geringelten Matrosenpullover, den er jetzt über seinen Kopf streifte und ihr einen tiefen Seufzer entlockte, als ihr Blick auf seinen muskulösen Oberkörper traf. Mit warmen, ruhigen Händen begann er, sie auszuziehen und nicht einmal wendete er dabei seinen Blick von ihren wunderbaren Augen, die so tiefdunkel waren wie Zartbitterschokolade. Er nahm ihre Hand und führte sie in den nächsten Raum. Nirgends auf dem Schiff gab es eine Uhr, darauf hatte der Holländer geachtet.

Seit zwei Jahren durchkreuzen sie nun die meist kalte und unwirtliche Nordsee und wenn die Vorräte zur Neige gehen, steuert er, der Skipper, einen nahen Hafen an, kellnert einige Tage in den Spelunken des Ortes, um Treibstoff und Verpflegung kaufen zu können. Die Tage auf See sind ausgefüllt mit Ausbesserungsarbeiten am inzwischen recht maroden Schiff und die Nächte sind die Erfüllung aller jemals geträumten Träume. Sie weiß noch immer nicht seinen Namen, aber das scheint ihr auch unwichtig. Er bereitet ihr jeden Tag mühelos unvergessliche Augenblicke, hat ihr den Glauben an ein lebenswertes Leben zurückgegeben. Sie IST sein Leben und es gibt keine Distanz oder Fremdheit zwischen ihnen, obwohl sie selten sprechen. Wichtige Dinge können auch ohne Worte gesagt werden.

Die Küstenbewohner wundern sich jede Nacht über merkwürdige, tanzende Lichter auf dem unruhigen Meer. Sie erzählen sich unheimliche Geschichten über den Klabautermann und den Fliegenden Holländer und es halten sich hartnäckig die Gerüchte, wonach diese blitzenden Lichter ganz kurz so hell strahlen wie 10 Sonnen …

Ende

Drei – ANDERE –

Bremerhaven
Das Verschwinden einer 32jährigen Verkäuferin am Donnerstag vor zwei Wochen gibt der Polizei noch immer Rätsel auf. Das Auto der allein und zurückgezogen lebenden Frau wurde in den frühen Morgenstunden auf einem einsam gelegenen Parkplatz am Weserufer gefunden. Vermeintliche Blutspuren im Inneren des Fahrzeugs wiesen zunächst auf ein Gewaltverbrechen hin, doch handelte es sich lediglich um Rotweinflecken teilte der Polizeisprecher mit. Zuletzt gesehen wurde die blonde, schlanke Frau im Fitnessclub Südstadt, wo sie sich gegen 22.00 Uhr verabschiedete. Auf dem Parkplatz des Centers soll sich zu dieser Zeit ein etwa 40jähriger Mann in einer gelben Regenjacke aufgehalten haben, der nach Zeugenaussagen auch kurz mit der Vermissten gesprochen haben soll. Die Polizei konnte diesen Mann noch nicht ermitteln und hofft weiter auf sachdienliche Hinweise aus der Bevölkerung.

Fortsetzung folgt