THINK !

„Die Gedanken sind frei“ heißt es in einem alten Volkslied, aber meine Gedanken sind im Moment alles andere als frei … genau genommen stehen sie sogar unter dauerhaftem Arrest.
Trotzdem musste ich mich ärgern: Der Warteraum zur Intensivstation war heute gut gefüllt, neben einer ca. 70jährigen, ziemlich nervösen und sicher auch ein wenig verwirrten Frau, die eine Frisur hatte wie ein Wischmopp und schlecht aufgeklebte, lange, rosa lackierte Fingernägel, hatte ein dicklicher, kleiner Klugscheißer, ca. Mitte 30 mit seiner Mutter Platz genommen. Der Dicke machte auf wichtig, bestrebt, den ganzen Raum wissen zu lassen, dass er wohl „vom Fach“ ist. Er machte auf tough, wie jemand, der quasi stündlich mit dem Tod konfrontiert wird und als eine Schwester mit einem mobilen Beatmungsgerät an der offenen Tür vorbei ging, tönte er: „Ha, wenn die dess zur Omma bringen, dann geh‘ ich nei und dann knallt’s!“ Ãœber die 70jährige, die dauernd die Schwestern bequatschte und Näheres zu ihrem eigenen Mann wissen wollte, mokierte er sich: „Wenn die des auf meiner Station mach‘ würd, hätt ich se scho nausschaff lass …!“ Eine andere Frau mit verweintem Gesicht, die auch auf Einlass wartete, verdrehte die Augen und im Geist hatte ich mir schon die Worte zurecht gelegt, falls er noch einmal eine unpassende oder despektierliche Äußerung vom Stapel gelassen hätte. Irgendwie fand ich es fast schade, dass wir dann schon hinein durften; ich hätte dem vorlauten Fettsack zu gerne den Kopf gewaschen.
Seit heute morgen sind die Betäubungsmittel abgesetzt und die Beatmungsmaschine setzt ein, wenn mein Vater nicht selbst atmet, was noch häufig der Fall ist. Außerdem hat er Fieber, weil er eine Entzündung entwickelt hat. Aber trotzdem bin ich fest angedockt an den positive-thinking-Pool, der wieder gut gefüllt ist. Ich weiß, nein, ich will, dass er das einigermaßen gut übersteht. Und wenn ich diese guten Gedanken habe, geht es mir gleich wieder besser. „Der Glaube versetzt Berge“ heißt es und weil dieser Berg verflucht groß ist, muss mein Glaube an eine gute Wendung einfach noch größer sein!

Eine Fotokopfnuss habe ich heute mitgebracht. Turnusmäßig ist ja wieder eine etwas leichtere Aufgabe angesagt und ich will von euch wissen, was das

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ist. Nun ist morgen ja Aschermittwoch und einige werden vielleicht erst einmal einen dicken Kopf oder einen monströsen Kater haben, deshalb bitte ich um Lösungsvorschläge erst ab morgen, 18.00 Uhr.

Hautnei!
moggadodde

@ markus: Guggst du auf Kategorie!

Durchatmen

Pausiert habe ich gestern bezüglich Krankenhausbesuch, ohnehin konnten wir nichts tun. Heute dann besuchten wir meinen Vater auf der inzwischen dritten Intensivstation und die sehr freundliche, sehr junge Ärztin meinte, dass man ihn heute Morgen wegen dramatisch abfallender Werte beinahe reanimieren musste, jetzt habe sich sein Zustand auf „schlechtem Niveau stabilisiert“. Wir können also weiterhin nichts tun als weiter warten …

Sehr gelegen kam da heute SchwiMus Geburtstagseinladung, die traditionell beim Griechen um die Ecke begangen wird und dieser Abend hat mir sehr gut getan mit einigen Stunden Unbeschwertheit und der Einführung von Dixies Schatzi, der seit Freitag hier ist, in den trauten Kreis der väterlichen Familie.
Vor einigen Jahren genossen wir regelmäßig die Produktionen vorgeblich griechischer Küchenchefs, die damals einzig erhältliche Beilage, rieseliger Reis, wurde seit einiger Zeit gnadenlos verdrängt und ist auf der Karte nicht mehr zu finden. Seinen Platz hat die allmächtige Knoblauchkartoffel eingenommen. Bleichen Erdäpfelscheiben wird durch Frittieren zu etwas Farbe verholfen, üppigst wird mit gehacktem Knoblauch geschmissen und in nullkommanix ist eine original griechische Beilage gezaubert, von der auf der peloponnesischen Halbinsel wahrscheinlich noch kein Mensch gehört hat. Ich mag die kontaminierten Kartoffeln, aber griechisch essen kann ich heute höchstens einmal im Quartal, weil Souvlaki und Co. für mich einfach zu stark gewürzt sind und ich mir einbilde, auch am dritten Tag nach Verzehr aus sämtlichen Poren zu stinken wie ein Esel auf Mykonos aus dem Maul.
Schwager M. und ich, die einzigen Raucher in der Runde, testeten heute schon einmal das bevorstehende Fluppenverbot in gastronomischen Einrichtungen und nahmen unsere After-Dinner-Stäbchen vor der Tür ein. Ich selbst mag Zigarettenrauch während des Essens auch nicht, deshalb fällt mir die Rücksichtnahme diesbezüglich nicht schwer und ich habe kein Problem damit, draußen zu qualmen.
Die Gesellschaft am Nebentisch nahm es mit der Rücksicht allerdings nicht so genau. Zwei mitgeführte Kinderwägen beherbergten zwei ca. dreijährige Nachwuchsrebellen, die ihren Eltern mit lautem Gepläke und ausdauerndem Genöle den Abend verleiden wollten, was ihnen wahrscheinlich wegen der hohen Toleranzschwelle der Erzeuger nicht gelang. Dafür gingen mir die Kurzen gehörig auf die Ohren und die Nerven! Ich meine, ich freue mich auf einen angenehmen Abend und dann sitzen da zwei Terroristenkrümel in ihren Herlags und malträtieren mein zum Zerreißen gespanntes Nervenkostüm! Wenn meine Kinder in diesem Alter bei einem Restaurantbesuch „unpässlich“ waren, wurden sie beschäftigt oder gefüttert oder jemand erbarmte sich und fuhr den Störfaktor DRAUSSEN durch die Landschaft, bis er a.) Ruhe gab oder b.) pennte.
Wo ist denn da bitte der Gesetzgeber? Wer schützt mich als unschuldigen Gast vor penetranter Lärmbelästigung durch die lautstarken Unmutsäußerungen der renitenten Knörknochen? Kann es geduldet werden, dass keine Steuer zahlende Hosenscheißer durch ihre akustischen Anschläge zu Migräneauslösern mutieren? Wo ist der „Kinderbereich“, lärmgedämmt und abgeschirmt, damit der Krach nur die eigene Gesellschaft stört?

Manche Eltern von kleinen Kindern meinen wirklich, sie seien unantastbar allein aufgrund der Tatsache, dass sie sich der ach so widrigen Elternschaft unterwerfen und damit zur unverzichtbaren Stütze des hinkenden Gesellschafts- und Sozialsystems werden. Die zu Dank verpflichteten Mitbürger haben gefälligst dankbar und selig zu nicken, wenn der Buggy in die Achillessehne flext oder eben ein gemütliches Abendessen durch Lärmemissionen im hochfrequenten Dezibelbereich torpediert wird!
Ich bin keine Kinderhasserin, schließlich habe ich selbst zwei bis drei. Aber ich weiß, dass zur Wahrung von Anstand und Respekt und aus Rücksicht für andere Menschen manchmal auch unbequeme Wege gegangen werden müssen, und sei es eben der mit zwei pläkenden Störkindern vor die Tür eines griechischen Restaurants.

Euch eine stille Nacht wünscht
moggadodde

Es hört nicht auf …

Damit ihr und inzwischen auch ich selbst nicht ganz den Überblick über die Geschehnisse um meinen Vater verliere, berichte ich nur ganz schnell:
Gestern Abend wurde mein Vater völlig überraschend von der HNO-Intensivstation in die Anästhesie-Intensivstation verbracht, weil sich eine Wasseransammlung in der Lunge gebildet hat, die mittels Punktion entfernt wurde und deren Herkunft nicht klar ist, nachdem aber die Nieren versagt haben, musste die in meinen Vater eingebrachte Flüssigkeit ja irgendwo hin. Ganz nebenbei wurde dort sein Herz als sehr stark vergrößert festgestellt, was dort nun ebenfalls Probleme mache. Als ich heute früh anrief, wurde mir gesagt, dass der Zustand nicht besser und nicht schlechter geworden sei, allerdings habe er einen Herzinfarkt erlitten, was erst die Auswertung der gestrigen Untersuchung ergeben hat und was alles noch einmal verändert. Er wird jetzt wieder beatmet und ist im Koma.

Ich bin sicher, dass wir die Vorboten dieses Infarkts am Donnerstag Abend gesehen hatten, ich hatte ja von seiner Unruhe erzählt und dass er ja dort wieder völlig neben der Spur war und ja nicht sprechen konnte. Als die Schwester ihm verschiedene Fragen nach Schmerzen stellte, verneinte er diese aber die Frage nach einem Druckgefühl in der Brust hat er bejaht, das weiß ich noch genau. Die dazugerufene, verblödete „Ärztin“, die ihn sich dann ansah und einfach verschwand, konnte ja nichts feststellen, aber ich bin jetzt sehr sicher, dass der Infarkt in dieser Nacht passiert sein muss und keiner von den schwachköpfigen Idioten hat meinen Vater ernst genommen und etwas gemerkt.

Das ist also der neueste Stand und inzwischen nehmen wir die schlechten Botschaften nur noch hin. Ein Ende dieses Albtraums ist scheinbar noch nicht in Sicht aber so langsam gehen selbst mir die Worte aus, die meine Mutter, meinen Bruder und mich selbst auch nur annähernd trösten können. Und allmählich gelange auch ich zu der Ansicht, dass er das alles nicht überleben kann.

moggadodde

Bloghaus-Blues

In den letzten 365 Tagen habe ich gelernt, dass in der „Blogosphäre“ ganz besondere Luftverhältnisse herrschen, dass der Begriff „Auflagenhure“ nichts mit einer weichen Bettstatt verbindet, dass „Abmahnanwälte“ nichts mit dem Arbeitsrecht zu tun haben und dass der „Schwanzvergleich“ durchaus auch virtuell und nicht nur in Feuchträumen stattfindet.

Ich habe mein persönliches Unwort gekürt, das „Kleinbloggersdorf“ heißt, einfach grauenhaft, und ich habe für mich festgestellt, dass das Bloggen erstklassig dazu geeignet ist, Frustrationen zu kanalisieren, Langeweile zu überbrücken, Freude zu teilen und dass sich Exhibitionismus nicht unbedingt auf das Nackigmachen im Stadtpark beschränkt, denn, sind wir ehrlich, ein wenig zeigefreudig ist jeder Blogger, gar nicht so sehr im körperlichen Sinn als viel mehr im Seelischen.

Ich habe im vergangenen Jahr viel Quatsch verzapft, im Stillen nicht selten eine Meinung revidiert oder mich im Nachhinein gefragt, ob ich mit der einen oder anderen Äußerung übers Ziel hinausgeschossen bin. So zähle ich z.B. die anfangs geschmähte „ausgetrocknete Dauerwelle“ aus den Katakomben heute zu meinen liebsten Kolleginnen und nehme dank ausdauernder Schreibtherapie die Macken des MamS sowie meine eigenen nicht mehr ganz so ernst.

An dieser Stelle danke ich Euch allen, die ihr hier mit treuem Regelmaß vorbeischaut, dass ihr mich mit euren Kommentaren aufmuntert oder zu denken gebt, dass ihr mich mit Trost verseht, wenn die Familienkacke dampft oder die Verzweiflung beutelt und euch mit mir freut, wenn zur Abwechslung einmal etwas rund läuft. Außerdem danke ich dem Rosa Riesen für die Zurverfügungstellung einer schnellen Leitung und meiner Familie für das geduldige Hinnehmen blogbedingter Absencen meiner Person und den zuverlässigen und meist unbeabsichtigten Nachschub an oft skurrilen Begebenheiten.

Weil ich die Rubrik „Vokabularium“ in letzter Zeit ein wenig schleifen ließ, zum Jubiläum ein besonders schönes

Fremdwort des Tages,
Autopoiesie,

hört sich blumig an und beschreibt das Talent, sich selbst erhalten, wandeln oder erneuern zu können. Das ist, finde ich, in diesen Zeiten eine Fähigkeit, die unbedingt gefördert oder aufgebaut werden sollte!

Ja, es tut noch immer gut. Ihr tut mir gut. Und ich mache weiter.

Euch einen denkwürdigen Tag wünscht
moggadodde

Huredreggsgeraffel!

Dieser Eintrag wird kein guter Eintrag und ich weise eingangs gleich darauf hin, dass sich in diesem Text einige schlimme, um nicht zu sagen unflätige Worte fallen werden, die ich so normalerweise nicht in die Tasten bringe, aber ihr seht es mir sicher nach und wenn nicht ist es mir auch wurscht.
Gestern freute ich mich tierisch, als ich meinen Vater sah, wach, relativ interessiert, ohne Katheter und nur mit dem Schlauch in der Nase und der Kanüle im Hals. Er lachte, als ich im erzählte, dass die Bayern Bernd Schuster als Trainer wollen und ich dachte, das Schlimmste ist vorbei und ab jetzt geht es aufwärts. Brüderchen und ich wollten einen Arzt sprechen, um zu erfahren, wie das jetzt weitergeht, und oh Wunder, es war sogar einer da, der uns bat, nochmals ins Zimmer zu gehen, er würde uns gleich holen. Als wir nach einer halben Stunde fragten, was denn wäre, sagte uns ein Pfleger, der Dr. E. sei jetzt weg. „Wie weg?“ fragte ich blöde. „Zur Fortbildung“, sagte der glatzköpfige Pfleger. Ziemlich böse machte ich meinem Unmut Luft und der Pfleger musste es ausbaden aber das war mir egal. Heute rief ich Dr. E. persönlich an und er meinte, ich müsse das verstehen, er hätte viel zu tun, blablabla, wir machten für heute 17.00 Uhr einen neuen Termin.
Als ich ankam, erfuhr ich, dass mein Vater heute Nacht randaliert habe. Er zog sich die Schläuche und machte Bambule und jetzt wurde er ausquartiert und in eine Einzelzelle gelegt, wo er sich seine Sonde noch dreimal herausrupfte. Seine Nierenwerte sind wieder unter aller Sau, die wassergefüllten Beine sehen aus wie Elefantenstampfer, er ist wieder vollkommen aus der Spur, halluziniert und wollte die Schwester ohrfeigen.
Nachdem Dr. E., der schnöselige Arsch, sich mit uns Kindergesindel eines minderwertigen AOK-Versicherten scheinbar nicht abgeben wollte, sprachen wir mit einem Dr. U., einer Zierde seiner Zunft, der uns eine geschlagene halbe Stunde in einem richtigen Besprechungszimmer Rede und Antwort stand und alle Fragen hoffentlich ehrlich und tatsächlich verständlich beantwortete. „Durchgangssyndrom“ nennt er das, was mein Vater da jetzt hat, nicht selten nach einem schweren Eingriff bei einem älteren Patienten, vor allem, wenn er, wie sich eine Schwester nonchalant ausdrückte, „nicht ins Bier gespuckt“ hat.

Wir waren lange im Krankenhaus, auch weil Vater vollkommen hyperaktiv auf seiner viel zu kleinen Pritsche umherzappelte, wo ein 2-Meter-Mann auch unter günstigen Umständen verflucht nochmal keinen Schlaf finden kann. Mit Gesten deutete er an, dass er zur Toilette müsse, wir sortierten Schläuche und versuchten verzweifelt, den verdammten Infusionsständer durch die zu enge Tür zu bugsieren. Wieder im Bett fing er an zu hyperventilieren. Er atmete in die Tüte, zwischendrin spritzte beim Husten gelber Schleim aus der Kanüle und er beschrieb mit den Händen einen Druck auf der Brust. Die gerufene Ärztin schickte uns raus, untersuchte ihn, kaum raus, murmelte was von „komm gleich“ und verschwand auf Nimmerwiedersehen, die beschissene Kuh! Ich also nach einer Zeit wieder ins Schwesternzimmer, was denn nun wäre und dort hieß es, alles sei in Ordnung mit dem Bauch und dem Herzen und er und die Station würden wohl eine ereignisreiche Nacht haben. Der Umstand, dass seine Einzelzelle im allerletzten Dreckseck liegt, im fünften Stock mit einem gottverdammten, riesigen Schiebefenster gibt mir Anlass zur Sorge und als ich vorhin nochmals anrief, hatten sie ihn schon ins Schwesternzimmer gestellt, damit er unter Kontrolle ist.

Nachdem ihm die Entfernung der Lymphknoten im Hals noch bevorsteht, diese aber erst gemacht werden kann, wenn die Nierenwerte besser sind, wird er a.) noch einige Zeit im Krankenhaus bleiben und b.) mit ziemlicher Sicherheit genau den gleichen himmelscheißeverdammten Gehirnzirkus mitmachen müssen wobei niemand sagen kann, ob da nicht was zurückbleibt. Der Besuch aus der Nervenklinik hat ihm ein Neuroleptikon verordnet und so langsam muss so ein Organismus ja schlapp machen bei all den verfluchten Medikamenten, die er intus hat.

Huredreggsgeraffel!“ und „Bluatsakrament!“ sind die Lieblingsschimpfworte meines Vaters, gerne und oft benutzt. Und genau das will ich wieder von ihm hören, richtige, herzhafte, ehrliche Flüche, wenn irgendwas nicht hinhaut, wie er sich das vorstellt, was unter normalen Umständen recht häufig der Fall ist.
Langsam aber sicher macht mir dieses Auf und Ab noch schlimmer zu schaffen als sein hilfloser Zustand auf der Intensivstation. Natürlich trägt seine ungesunde Vorgeschichte ihr gerüttelt Maß Mitschuld am jetzigen Zustand, aber, scheißenochmal, er soll wieder werden, scheiß auf die Magensonde und die Scheiß-Kanüle, die drinbleibt bis die beschissene Bestrahlung vorbei ist. Aber bitte, bitte lass ihn im Kopf wieder klar werden, lass ihn nicht als Gehirnkrüppel enden, gefangen in seiner eigenen Welt, die uns verschlossen ist.

Ich will, dass alles wieder gut wird.

moggadodde