Jahreswechselgedanken

Was war das für ein Beginn, Zweitausendneunzehn! Du hieltest mich in Atem, indem Du Mutter nach einem Beckenbruch nach Hause schicktest, wo du mich mit der Pflege auf sämtlichen südlichen und sonstigen Ebenen schnell überfordertest. Ich schaute auf das Jahreswechselgeballer, weinend und am Ende meiner Kräfte, und dich in allen Schwarzvarianten ausmalend. Bis März ging ich auf dem Zahnfleisch, dann beruhigte sich die Lage. Mutter ging es besser, mit Unterstützung von vielen Seiten lief es irgendwie. Mühsam kamen wir über die Runden, selten optimal, aber Mutter war zufrieden und du ließest mich nach Uruguay und den Sommer genießen, auch wenn ich in steter Erwartung und im Bewusstsein war, dass Du nur trügerischen Frieden schenkst.

Zum Ende hin dachtest Du Dir, dass es jetzt ein bisschen zuviel der Ruhe ist und schicktest Mutter ein paar weitere male auf die Bretter. Du hast es erreicht, Zweitausendneunzehn. So ein menschliches Becken hat viele Bruchstellen und Du hast Dir wieder ein fieses Eckchen ausgesucht. Danke für nichts.

Mit einigen, glücklichen oder unglücklichen Zufällen, das kommt auf die Sichtweise an, konnten wir Mutter vor zwei Wochen in einem schönen Heim unterbringen, wo sie gepflegt und liebevoll umsorgt wird. Das Personal ist warmherzig und fürsorglich und es gibt Essen und Wäsche und Zuwendung, viel viel mehr, als ich es für sie in Dir, Zweitausendneunzehn, leisten konnte.

Mutters Umzug ins Heim ist eine Zäsur und fällt ihr schwer. Natürlich. Her home was her castle. Eine Trutzburg. Ein Schutzwall vor Menschen außerhalb der Familienbubble. 15 Jahre nach dem Tod meines Vaters, von dem sie sich nie erholte, ist sie nun ausgesetzt wie eine hilflose Sardine ins Haifischbecken Pflegeheim, wo sie Kontakte knüpfen und als „Neue“ auf eine gewachsene Gruppe zugehen muss, sie, die bislang nur an der Seite meines Vaters selbstsicher und lebenstauglich war.
„Die wollen mich nicht dabei haben. Das spüre ich.“, sagt sie und eine Seite meines Herzens splittert, während die andere Seite schimpfen möchte. Dass das völliger, subjektiver Bullshit ist. Dass sie es doch noch gar nicht richtig versucht hat. Dass sie Geduld haben muss und nicht gleich aufgeben darf. Gelassen bleiben und nichts erzwingen soll. Ich spreche mit ihr wie mit meinen Kindern, als sie klein waren.

Du hast es geschafft, dass ich mich an Deinem Anfang vollkommen überlastet und überfordert fühlte. Und zum Ende hin gibst Du mir noch eine Schiffsladung schlechten Gewissens. Aber ich wehre mich, Zweitausendneunzehn.

Ich bin keine schlechte Tochter, weil ich es nicht schaffe, dreimal am Tag zu Mutter zu fahren, um sie zu versorgen. Ich bin keine schlechte Tochter, weil ich nachts schlafen muss, statt mit einem Ohr am Telefon zu hängen, in Erwartung eines Anrufs, dass Mutter gestürzt ist und ich mit dem MamS oder dem kleinen Hank zu ihr zu fahren und ihr wieder ins Bett helfen muss. Oder ins Krankenhaus, je nachdem. Die Installierung des Notfallknopfs war nur ein Versuch. War klar, dass Mutter doch lieber anruft. Oder am Boden liegt, bis die Nachbarin sie findet. Ich bin keine schlechte Tochter, Zweitausendneunzehn, weil ich von Mutter erwarte, dass sie sich durchbeißt, ihr vertraue, darauf vertraue, dass sie sich arrangiert mit der neuen Situation, denn das ist alles was ihr bleibt.

Und auch wenn sich um sie herum alles auflöst, ihre eigenen vier Wände, in denen sie mit Vater so glücklich war, ihr mehr schlecht als recht selbstbestimmtes Leben, ihre schicken Kleider, die sie schon lange nicht mehr trug, weil sie das Haus nie mehr verlassen konnte, bin ich zuversichtlich, dass Dein Nachfolger, Zwanzigzwanzig, uns nicht so drangsaliert. Von Zwanzigzwanzig erwarte ich mir viel. Dass ich Mutter besuchen kann und sie mich mit einem Lachen empfängt. Dass sie sagt, dass sie sich gleich mit Frau A. oder Frau B. oder Frau C. auf ein Stück Kuchen treffen wird und dass ihr Leben hier gar nicht so schlecht ist und dass der Tafelspitz lecker war und sie sich freut, weil Schwester Laddawan heute besonders gute Laune hat.

Zweitausendneunzehn, von Deinem Nachfolger erwarte ich, dass er Dir zeigt, wie so ein Jahr aussehen muss, um Mutter zufrieden und ein bisschen glücklich zu machen und mir das Gefühl zu geben, doch das richtige getan zu haben, auch wenn das Gewissen mich immer wieder in die Seite zwicken wird.

Ich gebe Dir, liebes Zwanzigzwanzig, die Chance, das wieder gut zu machen, was Dein Vorgänger gnadenlos verbockt hat.

Zeig, was Du kannst!
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