Der heiße Draht

Für mich als Italienerin im Herzen gibt es nichts besseres zum Frühstück. Marmelade, okay. Schinken, kann man machen. Aber wenn ein frisches Bägger-Schäfer-Brödle an einem Samstagmorgen mit einer Schicht Tomaten verheiratet, ein paar Scheiben Büffelmozzarella zugedeckt und frischen Basilikumblättchen garniert wird, ist das für mich die Eintrittskarte für ein paradiesisches Paradeiserfrühstück. Auch wenn es dem gemeinen Germanen grausen mag angesichts der Kombination mit einem Cappuccino oder einem leckeren Latte, Geschmäcker sind so vielfältig wie es Zungen gibt auf der Welt, also lasst mir gefälligst meine Freude.

Als nun der kleine Hank, dem ich diese Vorliebe qua Indoktrination mit auf den Weg gab, den Beutel Büffelmozzarella vorfreudig öffnete, um das wabbelige Käseklöpschen salomonisch für uns beide zu teilen, entfuhr ihm ein „Ey verdammt, da ist ein Draht drin!“, und tatsächlich: Ein vielleicht 1 cm langes, feines, aber sehr hartes Stück Draht prangte obenauf, thronte auf dem schneeweißen Käse, mein Appetit sank schlagartig auf Zero und noch bevor der kleine Hank „Mamma mia“ sagen konnte, sah ich die Katastrophe vor meinem geistigen Auge: Unentdeckt könnte dieser gefährliche Fremdkörper durchbohrte Kehlen verursachen, ich sah röchelnde Käsekonsumenten im Todeskampf oder blutig perforierte Backen und fuhr das ganz große Besteck auf:

Ich informierte sofort die Käserei im südlichen Italien per Mail mit Chargennummer und Haltbarkeitsdatum und meldete dem Bayrischen Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz den Fund, was über eine App narrensicher und innerhalb weniger Minuten getan ist. Ich beweissicherte Tüte und Draht, der Käse selbst fand den Weg in den Müll und den Rest des Tages war ich dankbar darüber, dass Hanks junge Augen und der Zufall selbst für eine Entdeckung gesorgt hatten.

Nun lag ich in der Nacht auch aus anderen Gründen lange wach und hatte viel Zeit zum Nachdenken. Das Gehirn ist ein sonderbares Ding, meines zumindest, und wirklich nur Augenblicke, als ich dem Schlaf entgegendämmerte, durchfuhr ein Gedankenblitz meinen Kopf. Die Schere … Die Schere, die der kleine Hank benutzt hat … Die Schere hatte ich zwei Tage zuvor in der Hand … Was hab ich mit dieser Schere gemacht … Mit dieser Schere hatte ich eine Bastelei fabriziert … Teil dieser Bastelei: Draht.

Was, wenn ich selbst der Urheber der Verunreinigung war? Wenn bei der Bastelei Draht an der Schere verblieben und die Käserei komplett unschuldig war? Sofort stand ich auf und verglich den Basteldraht gründlichst mittels Lupe und Licht mit dem Fundstück. Tatsächlich: Stärke und Farbe waren gleich. Es gibt Zufälle, ja. Aber nicht zwei Stück Draht auf 2000 km Entfernung, die komplett gleich sind. Ich war die Quelle des Übels, die Causa della Käse.

Nun war es mitten in der Nacht und ich hatte zwei Möglichkeiten: Entweder, ich log fortan und beharrte darauf, dass der Betrieb Mist gebaut oder nicht reinlich gearbeitet hat. Ich würde in kauf nehmen, dass sie mit einem Rattenschwanz an Schwierigkeiten zu kämpfen hätten, dass Myriaden an Büffelmozzarellatüten zurückgerufen, Verbraucher verunsichert, der Ruf der Firma nachhaltig angeknackst und Caseficios arbeitslos werden. Es wäre leicht gewesen, eine Firma zu zerstören. Doch das stand für mich nicht einen Moment zur Debatte.

Sofort, noch in der Nacht, verfasste ich eine Mail an die Käserei: Dass es mein Fehler war und mit ihrem Produkt alles in Ordnung. An das Staatsministerium: Dass die Verunreinigung im hiesigen Haushalt zu finden war und die Käserei keinesfalls der Verursacher sei. Nun hatte ich nur auf die automatische Eingangsbestätigung antworten können und war unsicher, ob deutsche Behördenmailmühlen diese Nachricht zuverlässig an die einschlägigen Stellen weiterleiten würden. Kurz: Ich hatte eine schlaflose Nacht.

Am nächsten Morgen hatte ich schon Nachricht: Ich solle Tüte und Draht sichern und der hiesigen Stelle für Lebensmittelüberwachung zuleiten. Nun hängte ich mich ans Telefon, um die Falschmeldung wieder einzufangen und es war zwar mühselig, aber gleichzeitig beruhigend zu sehen, dass die Mechanismen bei einer solchen Meldung innerhalb weniger Stunden gegriffen hätten. Oberschleißheim, München, Würzburg, die oberste Landesbehörde von Nordrhein-Westfalen – ich haben einigen Leuten eine Menge überflüssiger Arbeit bereitet, was mir von Herzen Leid tut und so peinlich ist, wie kaum etwas in meinem Leben, aber nichts gegen das Gefühl, das dauerhaft gewesen wäre, hätte ich einfach die Klappe gehalten und weiter die Italiener falsch beschuldigt.

Seit diesem Ereignis haben der kleine Hank und ich natürlich einen running gag, denn selbstverständlich gehört Pomodoro con Mozzarella di Bufala weiter zu unserem Lieblingsfrühstück. „Guck, da ist ein Draht drin!“, ruft er zuverlässig jedesmal und ich weiß, dass dieses Ereignis etwas ist, an das er sich auch noch nach meinem Tod erinnern wird, ein Tod, der mich zwar ganz sicher, höchstwahrscheinlich aber immerhin nicht mit einem Stück Draht im Hals ereilen wird.

Und die Moral von der Geschichte? Es ist Käse, keine Eier zu haben!

Salute!
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