Glücks-Fall

„Nimm doch die Plastikschützer, damit die Ecken nicht abschrammen!“, rät der MamS dem kleinen Hank, der bei der Auswechslung einer Halogenlampe am Badezimmerspiegel assistiert. Genau betrachtet sind die Rollen allerdings bereits der Altersumkehr unterworfen: War früher der MamS halbwegs der Chef am Schraubenzieher, erteilt er nunmehr lieber gute Ratschläge und der kleine Hank ist der Bub fürs Grobe. Sollte nun der unbefangene Leser denken „Sind die in Casa Moggadodde etwa zu blöd, eine Birne zu wechseln?“, dem rufe ich zu: „Jein!“
Es handelte sich nämlich um eine knifflige Aufgabe an nischiger Location mit ausgenudelter Lampensteckstelle. Diesen Satz schreibe ich bewusst in der Vergangenheitsform, denn es kam, wie ich es ahnte: Beim Hantieren mit Spiegel und Stromkabel zerbrach eine Ecke und es war klar, dass Ersatz beschafft werden musste.
Vor ein paar Jahren war die Wahl eines beleuchteten Spiegels ein Kinderspiel. Spiegel mit Fassung aussuchen, Birne mit 60 Watt rein, zack, hell, Ende.

Heutzutage braucht es umfassende Recherche und ein abgeschlossenes Physikstudium, denn es gibt LED. Die Balance zwischen richtigem Kelvin- (Lichtfarbe) und Lumen(Lichtstärke)grad ist eine Wissenschaft für sich und die Illuminationsoptionen sind schier unendlich. Hellsichtige Entscheidungen wollen getroffen werden: Möchte ich morgens im Bad die Beleuchtungsvariante „Zombieapokalypse im Operationssaal“? Oder bevorzuge ich „Frischfleischtheke bei REWE“? Vielleicht sogar „Plüschbarseparee morgens um vier“? Wir versuchten uns an der Aufgabe und bestellten einen neuen Spiegel mit hinterklebtem LED-Band Variante „Brutalrealismus“ in neutralweiß mit 4000 Kelvin. Lausig lange Schon vier Wochen später traf er ein und während ich mich in diesem Spätsommer im Licht des einzig wahren Planeten räkelte, befestigte das Homework-Duovirat MamS und Hank das gute Stück. Stolz präsentierten sie ihr Werk: Sie hatten Licht gemacht, den kleinen Bruder des Feuers (hier Brusttrommelgeräusch einsetzen).

Schon an Tag 2 hatte ich mich damit arrangiert, dass ich beim Zähneputzen künftig auf einen Gesicht gewordenen Zen-Garten blicken würde. Von nun an sah mir ein erbarmungslos ausgeleuchtetes Antlitz gleich einem geharkten Kiesbeet entgegen. Ein jegliche Anmut und Hoffnung tötendes Licht. Ein Licht, direkt aus der Waffenkammer von Osrama bin Laden. LEDgeddon.

Eine Woche und eine Nacht später riss uns ein heftiger Knall aus dem Schlaf und mit Lichtgeschwindigkeit schossen wir aus den Betten. Nicht Einbrecher waren das Übel, sondern der Spiegel, der mit Wumms der Schwerkraft anheim fiel. Statt an den vorgesehenen Aufhängungen hatten meine beiden Leuchten den Kaventsmann an der aufgeklebten Lichtleiste befestigt, der nun klirrend sich selbst und der Gründlichkeit halber auch gleich das Waschbecken darunter zerstörte.

Den neuen Spiegel mit erträglicher dem Teint schmeichelnder, leicht modifizierter Beleuchtung bekommen wir mit ordentlichem Schusselnachlass und, oh, was gibt es nicht doch für entzückend geformte Waschtische! Schicke Armaturen! Designsiphons! So betrachtet bin ich fast dankbar für die Pfuscherei. Ob Scherben Glück bringen oder 7 Jahre Pech, das ist noch offen und letztlich auch nebensächlich, denn die entscheidenden Skills hat der MamS dem kleinen Hank mit dieser Lektion gelehrt:
Es ist nicht wichtig, wie dumm du dich anstellst. Wichtig ist nur, dass du gut versichert bist!

Einen risikofreien Abend wünscht
moggadodde

Romantic Overkill

Wäre Rothenburg o.d.T. ein Rockstar, wäre es Iggy Pop: Eine unumstrittene Ikone, exaltiert, genial und zuweilen ziemlich voll.
Auf der Romantischen Straße machten wir diesmal einen Bogen um Rothenburg und besuchten Dinkelsbühl, das ich in diesem Kontext als Eric Clapton unter den Medieval-Hotspots bezeichnen würde: Ebenfalls Kultfigur und ähnlich alt, ebenso begnadet, mit leiseren Tönen allerdings und einer unerschütterlichen Gemächlichkeit an der Grenze zu baldrianesker Beschaulichkeit. Dinkelsbühl atmet Mittelalter aus allen Gassen, jeder Winkel bietet malerisches Augenfutter, die Kopfsteinbepflasterung der kompletten Altstadt bremst das Tempo des Autoverkehrs, weshalb High Heels in Dinkelsbühl keinesfalls nicht unbedingt Schuhwerk der Wahl sind.
Jegliche Leuchtreklame ist untersagt. Auch große Ketten oder Versicherungskonzerne müssen sich der strengen Gestaltungssatzung unterwerfen, die nicht nur die Farbe des Hauses innerhalb enger Grenzen vorschreibt: Hausnummern sind inmitten einer geschwungenen Schleife (liegendes Oval) mit schwarzer Schrift auf weißem Hintergrund aufzutragen, die Namen aller Läden werden geradewegs aufs Haus gepinselt und zwar zwingend in Frakturschrift, was zuweilen zum Schmunzeln bringt.

Laternenpfähle existieren ebenfalls nicht, denn die Straßenbeleuchtung ist überall direkt an den Häusern verankert, was zusätzliches Mittelalterfeeling verleiht. Wirft man an der Schranne vier Euro in den Automaten,

gibt es auch das Extralicht für den Nachtspaziergang inmitten einer verträumten Kitschkulisse, wie sie sich Walt Disney auf Valium ausgedacht haben könnte. Romantic Overkill at its best. Ein pures Heidschibumbeidschiidyll. In diesen durchgeknallten Tagen kann ich gar nicht genug davon aufsaugen.

Wir fuhren idyllisch Kutsche, bestiegen Türme, so idyllisch wie ich das als Nikotini hinkriege, und ließen uns vom Stadtführer vollumfänglich aufklären über die sagenhafte Geschichte dieses märchenhaft idyllischen Orts, der btw. bereits zur schönsten Altstadt Deutschlands gekürt wurde. Gut, vom Focus. Aber immerhin!

Bekanntester Sohn der Stadt ist ein gewisser Christoph von Schmid, der mit „Ihr Kinderlein, kommet!“ den klerikalen Weihnachtsgassenhauer schlechthin kreierte, was reichlich weitsichtig scheint, denn ich kann mich noch heute anschließen: Ihr solltet kommen! Auf nach Dinkelsbühl!

Eine idyllische Nacht wünscht
moggadodde