Tausendundeine Nacht

Nach mexikanischem Essen stand uns heute der Sinn und für die hausgemachte Guacamole ist Korianderkraut unverzichtbar. Die einzige, als sicher bekannte Korianderkraut-Quelle ist ein Gemüsestand am unteren Markt, der naturgemäß mitten in der Stadt liegt. Bei den unglaublichen Parkgebühren, die die dortige Tiefgaragen-Connection verlangt, könnte ich mir allerdings beinahe ein Pfund weißer Trüffel kaufen, deshalb versuchten wir unser Glück in einem peripher gelegenen Supermarkt, wo ich mir tatsächlich das einzig vorhandene Töpfchen krallen konnte.
Glücklich mit meinem Kräutertopf schlenderte ich Richtung Kassenzone, als ich einem traurig blickenden Mohr begegnete, der mir stumm ein Tablett mit Schokoladenstückchen unter die Nase hielt. Als ich genauer hinsah, bemerkte ich, dass der Mohr eine Frau war, mit braun geschminktem Gesicht und genau so

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gekleidet, nur dass der rot-blaue Turban im Verhältnis noch größer war. Die Dame war auf Promotionstour für die Schokoladenfirma, die den Mohr auf ihrer Verpackung trägt. Ich nahm ein Stück von der Schokolade, lächelte sie an und bedankte mich. Sie schlurfte weiter, denn mit den riesigen Schuhen, groß wie die eines Clowns und an den Spitzen grotesk nach oben gebogen, konnte sie nicht richtig gehen. Diese Begegnung machte mich nachdenklich und ich fragte mich, ob ich, um ein paar mickrige Kröten zu machen, mich als Mohr verkleiden und diesen unglaublichen Schuhen durch einen Supermarkt streifen würde, um die Kunden zum Kauf von ebendieser Schokolade zu animieren. Was würde ich tun, wenn ein ungezogenes Balg Grimassen schneidend an meiner Ballonhose rupft und mich einen „blöden Neger“ ruft? Was, wenn ich Bekannten in meinem bunten Aufzug über den Weg schlurfe und sie sich schenkelklopfend über meinen monströsen Turban amüsieren? Was, wenn mich der über die Mohren wachende Obermotz vor der umherstehenden Kundschaft wegen meiner in Anbetracht der Situation hängenden Mundwinkel rundmacht? Würde ich mich soweit herablassen können, in ein groteskes Clownskostüm gewandet den gehetzten Menschen pappige Schokolade aufzudrängen? Nein, so kam ich zum Ergebnis, ich könnte es, so glaube ich momentan jedenfalls, nicht, ich würde es nicht über mich bringen, in diese Verkleidung zu schlüpfen.

Ich machte kehrt, kreuzte wie zufällig nochmals den Weg der Frau und schaute direkt in ihre traurigen Augen. Ich nahm nochmals ein Stück der zuckersüßen Schokolade, lobte deren kräftigen Geschmack und wünschte der traurigen Mohrfrau ausdrücklich und absolut ehrlich gemeint ein schönes Wochenende.

Für mich wäre die Arbeit als Teilzeit-Mohr ohnehin ein kurzes Vergnügen. Beim ersten, schiefen Blick auf meine Maskerade, beim ersten abschätzigen Wort, das meine roten Ohren unter dem bunten Turban erreichte, würde ich wahrscheinlich alle Kraft einer erniedrigten Frau aufbringen und den respektlosen Flachwichser in die Feinkostabteilung befördern, und zwar auf dem Luftweg. So hoffe ich inständig, dass ich niemals in die Verlegenheit kommen werde, mich auch nur ansatzweise mit dem Gedanken an eine solche Tätigkeit beschäftigen zu müssen …

Euch eine traumhafte Nacht wünscht
moggadodde

Dieser Eintrag wurde in Daily Soap veröffentlicht.

9 commenti su “Tausendundeine Nacht

  1. Georg sagt:

    Dennoch, alle Achtung vor ihrer Lebenseinstellung. Sie könnte sich auch in die soziale Hängematte legen, tut sie, tun ganz Viele aber nicht und machen lieber all die Jobs, für die wir uns zu schade sind.

  2. moggadodde sagt:

    Ganz ohne Zweifel vollkommen richtig, Georg.

  3. Gerlinde sagt:

    Doch, ich würde es machen. Bevor ich mich auf irgend einem Amt anstelle und mich als Almosenempfänger behandeln lassen müsste … ja, sofort!

  4. bt sagt:

    Propagandistenjaob? Nein Danke! Es gibt aber genug Leute die damit keine Probleme haben. Bei mir hinge es von der finanziellen Situation ab. Wenn ich nichts zu beißen habe, wäre der Job ohne Zweifel auch meiner. Außerdem ist Regale einräumen, Einkaufswagen zusammenschieben usw., bestimmt nicht leichter.

    Hast du das mit dem Avocadokern im Dip laut Wiki P. schon probiert? Wenn ich nicht gerade auf Diät bin (wie im Moment) ist das einer unserer Aufstrich-Favoriten. Leider muss man um die Oxidation(?) zu verhindern, sehr/zu viel Zitronensaft beimischen. Noch schlimmer ist allerdings, dass die Teile bei uns fast immer noch 2 Wochen zuhause nachreifen müssen. Wir haben die mal auf den Kanaren jeden Tag gegessen. Dort sind sie sofort verzehrbar und geschmacklich unschlagbar.

  5. moggadodde sagt:

    @ gerlinde: Wenn ich vor der Entscheidung stünde, Sozialamt oder Mohr, wahrscheinlich würde ich doch den Mohrenjob annehmen, hatte ich doch vor einem Jahr sogar tagelange Bauchschmerzen dabei, erstmals in meinem Leben zum Arbeitsamt zu gehen …

    @ bt: Regale einräumen o.ä. wäre im Fall des Härtefalles kein Problem für mich, ich würde im Getränkemarkt auch die Propagandadame für Bier oder Limonade machen. Aber mit m.E. würdeloser Faschingsverkleidung durch den Supermarkt schlurfen ist doch eine Ecke härter.
    Dass der Kern mit verarbeitet wird, habe ich erstmals bei W. gelesen. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das funktionieren soll, ist der Kern doch sehr hart und müsste wohl mit dem Hammer zertrümmert werden 😉 oder meinen die, dass der ganze Kern im Dip belassen werden soll? Ich nehme lieber die Zitrone, damit die Chose nicht braun wird … Bei spontaner Lust auf Guacamole hat man unter Umständen echt Pech, weil sie oft hart wie kleine Baseballs verkauft werden, oder schon zu reif sind und schon beim ersten Anfassen zermatschen …

  6. markus sagt:

    wenn ich in einer finanziell schier ausweglosen situation wäre, würde ich es machen. und auch manch anderen job. allemal besser, als von der „solidaritätsgemeinschaft“ leben zu müssen.

  7. barbara sagt:

    ich war mal 2 Tage als Sandwich unterwegs, was sogar sehr lustig war. Aber so als ABM-Maßnahme, ein Euro- Job o.ä.., da hängen garantiert nach ein paar Wochen die Mundwinkel ganz unten.
    Es ist wirklich eine harte Zeit, in der wir leben.

  8. moggadodde sagt:

    @ markus: Als letzten, allerletzten Rettungsanker, ja, dann würde ich es vielleicht auch tun … Aber dann müsste ich wirklich kurz vor dem Absturz stehen.

    @ barbara: Ein Sandwich! Na, du bist ja auch zum Anbeißen … dann hat das doch gepasst!

  9. azahar sagt:

    Ne, so ein Job wär auch nicht der meine. Da würde ich körperliche Arbeit wie Regale einräumen, Gemüse ernten oder Putzen vorziehen. Wenn es aber wirklich der oder keiner sein müsste, dann würde ich wohl auch als Mohr durch den Supermarkt schlurfen, immerhin würde man mich unter der Schminke und dem Turban nicht erkennen – dafür würde ich sorgen! 😉

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