Neulich im Himmel: Showtime!

„Hohoho!“, ruft Santa Claus, „das ist ja mal ’ne Sahneschnitte!“ und schlägt mit der flachen Hand auf den birnenförmigen Hintern der Guten Fee. „Lass das!“, faucht die Fee und klopft dem Santa mit ihrem bonbonfarbenen Zauberstab auf die manikürten Finger. „Denk‘ ja nicht, dass du hier was Besseres bist, nur weil du aus Hollywood kommst!“ Der Santa kichert dämlich und nippt am seinem Manna. „Hey, Garçon, lass‘ mal die Luft aus dem Glas. Und ein bisschen mehr Jacky, wenn ich bitten darf“. 
 
„Der ist so peinlich!“, sagt der Nikolaus zu seinem Kollegen und besten Kumpel Ruprecht. „Ich weiß nicht, warum der Vorstand das Großmaul nicht schon längst zum Teufel gejagt hat!“ Ruprecht schaut auf seinen Grog und nickt. „Und dabei bin ich sicher, dass die Geschäftsleitung weiß, dass der Santa dauernd bekifft ist. Ich kapier’s auch nicht!“.
„Was, der Santa hat ein Drogenproblem?“ ruft der Sensenmann einen Tick zu laut. „Wieso weiß ich davon nichts?“ 
„Pschscht! Spinnst du? Brüll‘ hier nicht so rum, du Depp!“
Giftig schauen Niko und Ruprecht über die Gläser hinweg Sam, den neuen Sensenmann, ins knochige Gesicht. Sam ist neu in der Truppe. Sein Vorgänger war wegen Unterschreitung der Quote gefeuert worden. Er war zu weich gewesen, hatte sich von den Menschen austricksen lassen, die ihm alles Mögliche versprachen, um weiter zu leben, bis so ein Typ namens Elvis im Suff geplaudert hatte. Der alte Sensenmann wurde entlassen, Sam vom Arbeitsamt vermittelt und Elvis endgültig eliminiert.
 
Niedergeschlagen schaut Niko in die Runde. Was er sieht sind Alkoholabhängige, Junkies, Depressive und Verrückte. Wie hatte es so weit kommen können?
„DingDangDong!“ – das kräftige dreifache Schlagen des großen Gongs in der Vorhalle ist für alle das Zeichen, in den Roten Salon zu kommen. Das würde ja eine lustige Betriebsversammlung!
 
Auf der mit leuchtenden Schläuchen kitschig dekorierten Bühne ist der komplette Vorstand erschienen. Firmengründer und Seniorchef, der gütige, gerechte und allseits beliebte Gerald Ott, führt die Geschicke der Firma schon lange, würde aber das Ruder sehr bald an den Junior, J.C., übergeben, der rechts von ihm sitzt. Niko kennt den Jungen noch von früher, ein Hippie war er gewesen, mit wuscheligen, schulterlangen Locken, der keine Tüte ausgelassen hatte. Seit er aufgestiegen war, hatte er sich vollkommen verändert und war zu einem karrieregeilen Yuppie geworden, der das Personal schikaniert.  Flankiert werden die beiden von Gaby, die vor ihrer Geschlechtsumwandlung noch Gabriel hieß. Neben seinem Schwanz hatte er wohl auch sein Herz verloren. Gabriel war ein Hardliner gewesen und auch als Gaby war sie kein bisschen weicher geworden. Außerdem war sie die rechte Hand vom Junior. Auf der anderen Seite der Bühne hatte sich Meta Thron niedergelassen, die Pressesprecherin des Unternehmens.
 
Die vier sehen geduldig zu, bis die gesamte Belegschaft endlich auf ihren Stühlen Platz genommen hat. Santa ist jetzt schon jetzt ziemlich ausfällig. „What the fucking hell soll das?“, lallt er, als er die Starbucks-Kaffeebecher auf den Tischen entdeckt. Er winkt der Kellnerin und ordert einen doppelten Scotch. Himmel, dieser Kerl schämt sich wirklich nicht!
 
„Geschätzte Kollegen, werte Mitarbeiter“ ergreift der alte Ott das Wort. „Ihr habt um diese außerordentliche Betriebsversammlung gebeten. Die Geschäftsführung ist interessiert am Wohlergehen der Mitarbeiter. Was liegt Euch auf dem Herzen?“, fragt er freundlich, zu freundlich, für Nikos Geschmack. Irgendwas war da im Busch.
 
Sofort streckt die Zahnfee ihren knochigen Finger in die Luft. „Warum, bitteschön, wurden meine Assistentinnen wegrationalisiert? Seit 300 Jahren mache ich den Job allein und die Kundschaft wird immer anspruchsvoller. Früher genügte eine Kleinigkeit, heute wollen die Blagen für jeden einzelnen, beschissenen, verlorenen Zahn mordsmäßige Geschenke unters Kopfkissen!!“
Ein Raunen geht durch den Saal. Jeder weiß, dass die Zahnfee eine faule Trantüte ist und sich die meisten Süßigkeiten, die sie eigentlich verschenken soll, selbst zwischen die Kiemen schiebt. „Seit dem Pillenknick hast du doch gar nichts mehr zu tun, du Zimtzicke“, schießt Gaby ihren ersten Pfeil von der Bühne. „Wenn du hier noch ein bisschen meckerst, werden wir dir eine Änderungskündigung aussprechen und du wirst in die Katastrophenabteilung versetzt. Da darfst du dann gallonenweise Wasser auf die Erde kippen und dir wird dämmern, dass du als Zahnfee das pure Paradies hattest!“ Die Zahnfee wird puterrot und versinkt in ihrem Stuhl.
 
Gabys Wutausbruch hätte die Menge beschwichtigen sollen, aber jetzt melden sich immer mehr unzufriedene Mitarbeiter zu Wort.
Der Osterhase streckt seine Blume in die Höhe und klagt über die EU-Erweiterung und die damit verbundene Ausdehnung seines Einsatzgebiets bis kurz vor den Ural.
Das Christkind fängt an zu keifen: „Nach der Genfer Konvention ist Kinderarbeit verboten. Ich fühle mich aufs Schärfste ausgebeutet.“
Die Sprecherin der Schutzengelabteilung ereifert sich über die Arbeitsmehrbelastung durch das geänderte Freizeitverhalten der Klientel: „Bungee ist doch für die Leute Kinderkacke. Extrembügeln heißt der Trend. Allein im letzten Quartal hatten wir 15 % mehr Einsätze in felsigem Gebiet beim Rocky Style!“
„Hey, who likes Doggy Style?“, lallt Santa und wird plötzlich wieder munter.
„Shut up, Santa“, bellt der Sensenmann jetzt, damit ihn das verkommene Subjekt auch wirklich versteht, aber Santa schaut Sam nur glasig in den Schädel, greift nach seinem Scotch und rülpst laut.
 
Ein Teil der Belegschaft kreischt jetzt vor Lachen. Meta, die Pressesprecherin, wird auf ihrem Thron auf der Bühne immer kleiner. Wie konnte sie das, was sich hier abspielte, nur geheim halten? Eine undichte Stelle, ein Leck im Diskretionsmanagement, und die Menschen würden mitkriegen, welche pferdegesichtigen, jammerlappigen Vollpfosten über ihr Schicksal bestimmten! Während G. Ott auf seinem Sessel schon eingeschlafen ist und laut vernehmlich schnarchend vor sich hin röchelt, droht Gaby die Hutschnur zu reißen, aber der Junior ist schneller. Er schnappt seinen Mont-Blanc-Füller, lässt ihn wie ein geschickter Kartentrickser zwischen den Fingern tanzen. Dann richtet er die goldene Feder auf die Gesellschaft, stampft mit seinen Mephisto-Schuhen auf den staubigen Boden und schickt einige, fette Blitze in Richtung seiner Angestellten, die sofort betreten schweigen, während Santa ansatzlos in den Schoß der guten Fee kotzt.
 
Nun steht Ruprecht auf. Mit lauter Stimme und festem Blick, wie er es im Rhetorikgrundkurs während seiner Ausbildung bei Niko gelernt hat, sieht er auf die Bühne.
„Ich muss mich für meine Kollegen entschuldigen“, sagt er, „aber grundsätzlich haben sie Recht. Die Arbeit wird immer schwieriger, die Fixkosten steigen, während das Gehalt gleich bleibt. Es reicht bei den meisten kaum noch für Manna und Wolkenmiete. Viele müssen nebenbei noch bei der Konkurrenz im Fegefeuer Kohlen schaufeln. Da unten brummt das Geschäft nämlich auch!“
Sam erhebt sich jetzt auch, sein Skelett klappert: „Ganz genau, Bruder!“
Zur Bühne gewandt sagt Sam entschlossen: „Wir verlangen nicht viel, ein wenig mehr Gehalt und einen jährlichen Betriebsausflug zum Styx. Und weil ein Streik in der Vorweihnachtszeit bestimmt das Letzte ist, was die Firma braucht, sollten Sie sich das mal durch den Kopf gehen lassen!“
Mucksmäuschenstill ist es jetzt im Roten Salon und Niko bemerkt, dass Gaby genervt die Augen verdreht.
 
J.C. hatte sich alles ruhig angehört. Mit grandios gespieltem, waidwundem Blick sagt er: „Wir, der Vorstand der Fa. Church United, haben lange genug zugesehen, wie hier jeder sein eigenes Süppchen gekocht hat. Ihr wolltet die Frauenquote? Habt ihr gekriegt. Ihr wolltet eine Kantine? Wurde erledigt. Sogar eine Kletterwand, eine Sauna, ein Firmenbordell und einen Betriebsrat habt ihr bekommen, ihr unverschämten Nimmersatte! Ich habe die Schnauze von euch jedenfalls gestrichen voll. Das hier“, er zieht einen beschriebenen Bierdeckel aus der Anzugtasche, „ist ein Vertrag. Mein Vater hat sich entschlossen, sein Lebenswerk zu verkaufen.“
 
Murmelnd stecken die Zuhörer die Köpfe zusammen, soweit dies möglich ist lauscht sogar Santa den Vorgängen und schwankt im Sitzen nur leicht hin und her, als J.C. weiter spricht: „Die Coca-Cola Company in Atlanta, USA, hat uns ein großzügiges Angebot gemacht, das ich annehmen werde. Ab dem nächsten Ersten seid ihr Amis! Congratulations, folks!“
 
Das Gejammer, das nun anhebt, ist unbeschreiblich. Die Schutzengel lamentieren, dass sie mit der Arbeit jetzt gar nicht mehr rumkämen, wo doch die Amis dauernd irgendwo Krieg führen, die Zahnfee wird ohnmächtig und Ruprecht und das Christkind zetern, weil sie nie wieder Überstunden- und Erschwerniszuschläge bekommen. Der Osterhase schlägt entsetzt die Löffel zusammen und nur Sam ist begeistert, weil er die Chance auf Schauspielstunden bei Lee Strasberg wittert, damit ihn seine Kunden nicht so schnell erkennen und er ihnen richtig was bieten kann, bevor sie abgetreten werden.
 
Nochmals bittet J.C. um Aufmerksamkeit, indem er ein paarmal kräftig auf die Tischplatte hämmert: „Ich vergaß, noch etwas zu erwähnen. Die Amerikaner wollen die Personaldecke so übernehmen, wie sie jetzt besteht, bis auf eine Ausnahme. Niko, du wirst in den nächsten Tagen leider eine betriebsbedingte Kündigung erhalten. Das Nikolausmodell wird eingestellt. Tut mir leid für dich, echt Mann, aber du bist ein netter Kerl und findest bestimmt was als Kindergärtner oder Berufsschullehrer.“
An alle gewandt fährt er fort: „Bevor ich mich verabschiede, ich fliege mit meinem Vater und der lieben Gaby nämlich jetzt gleich nach Hades in den Robinson-Club, noch etwas: Ich bin aus Atlanta bevollmächtigt, den neuen Geschäftsführer gleich hier und jetzt zu benennen. Santa, Sir, bitte komm’ nach vorne!“
 
Santa erhebt sich wacklig, wirft dabei sein Glas endgültig vom Tisch und torkelt mit der Scotchpulle in der Hand zwischen den Kollegen, die konsterniert die Köpfe schütteln, hindurch auf das Podium. Er salutiert wankend. Verwaschen und blöde kichernd erklärt er: „Ich, ähh, nehme die Wahl an, höhö.  Als erste Akt- ähh, Amtshandlung wird Allerheiligen abgeschafft und durch Halloween ersetzt. Cheers!“
G.Ott schnarcht noch immer laut vor sich hin.

Dieser Eintrag wurde in Daily Soap veröffentlicht.

10 commenti su “Neulich im Himmel: Showtime!

  1. Hazamel sagt:

    Sehr schöne Geschichte!

    Aber der Sensenmann würde nie brüllen! Nie! Das wäre nicht gut für die eh schon angekratzten Stimmbänder. Außerdem hat man dafür ja die praktische Sense um für Ruhe zu sorgen…

    Hach, immer diese Arbeitsamt-Kollegen. Ziehen die ganze Branche nur in den Schmutz!

    • moggadodde sagt:

      Herr Hazamel, bei allem Respekt: Der Bedarf, resp. die Menschheit wächst. Das Personalbüro muss deshalb öfter auf Leiharbeiter-Schnitter zurückgreifen und kann auf das angekratzte Ego des Sensenmannes keine Rücksicht nehmen, der offensichtlich mit der Arbeit nicht mehr hinterher kommt. Wird ja auch nicht jünger, der Gute.

      • Hazamel sagt:

        Ich verstehe Ihre Einwände. Die letzten Maßnahmen zur Bevölkerungsreduktion wurden allesamt von unseren Auszubildenden und eben solchen Leiharbeitern im Rahmen eines Förderungsprogramms erarbeitet und durchgeführt. Natürlich ohne Rücksprache mit der Geschäftsführung.
        Ich bitte Sie, wie soll man denn effektiv in einer Fast-Food-Gesellschaft die Bevölkerung dezimieren, wenn man Sprossen vergiftet? Grünzeug und Vitamine kennt die Zielgruppe doch nur aus dem Fernsehen und aus Geschichtsbüchern.
        Ist heute alles nicht mehr das Wahre… Wenn ich dran denke, wie wir damals in unseren jungen Jahren ganze Landstriche entvölkert haben. Aber sowas wie die Pest oder große Katastrophen geht heute ja gar nicht mehr. Das muss ja jetzt alles politisch-ökologisch korrekt laufen. Kein Wunder, dass die Quote da nicht zu halten ist.

        • moggadodde sagt:

          Verehrtester, hören Sie doch auf zu jammern. Wir alle haben in diesen Zeiten nichts zu lachen. Die Azubis und sonstigen Nebenerwerbsschnitter haben doch gute Arbeit geleistet! Die Menschen dazu zu bringen, ihren eigenen Planeten zu vergiften und in absehbarer Zeit unbelebbar zu machen, das ist doch ein geradezu genialer Schachzug, der die Kosten-Nutzen-Analyse zu Ihrer höchsten Zufriedenheit ausfallen lassen dürfte. Gegen diesen langfristig ausgelegten, finalen Kehraus muten Pest und sonstige Epidemien doch seltsam antiquiert an. Auch der Sensenmann muss mit der Zeit gehen!

          • Hazamel sagt:

            SIE!!!!!!!

            …haben Recht!

            Trotzdem wäre mir ein politisch inkorrekter Krieg um eine schöne Frau, der ganze Städte in Schutt und Asche legt, doch mal wieder ganz angenehm.
            Grad jetzt zur Weihnachtszeit werde ich in solchen Dingen doch so sentimental. Sich mal wieder die klammen Knochen an schwelenden Aschehäufchen wärmen und am Ende nur noch mit dem großen Seelenbesen übers Schlachtfeld kehren müssen. Sich mit einer guten Flasche Wein am Rande des Schlachtfelds postieren und dem Spektakel der Schwerter und Speere lauschen. Die Musik in meinem kahlen Schädel wenn Metall auf Knochen trifft. Sowas gibt’s heut einfach nicht mehr.
            Ich muss Ihnen also abermals Recht geben, dass wir es alle nicht einfach haben und uns nach der Decke strecken müssen. Und sei es nur die monatliche Sprechstunde im Altersheim zum Thema „Chancen und Möglichkeiten des Ablebens“

          • moggadodde sagt:

            Ihr Kommentar macht mich betroffen. Ich verstehe Sie sehr gut, denn Ihre Beschreibungen klingen in der Tat recht idyllisch. Aber sehen Sie nur zu, dass Sie sich nicht ganz dem Neuen verschließen und sich von den Jungspunden abhängen lassen. Nostalgische Gefühle hin oder her: Heben Sie ihr hohles Haupt, sehr wohl um die Verdienste in der Vergangenheit wissend, und geben Sie Ihre Kenntnisse an die Frischlinge weiter. Auch in Ihrem Metier werden Facharbeiter immer gebraucht. Pest kann ja heute niemand mehr. Nicht verzagen! Notfalls machen Sie’s wie der Niko und schulen um zum Berufsschullehrer.

          • Hazamel sagt:

            Ich danke Ihnen für Ihre aufmunternden Worte.

            Vielleicht sollte ich dieses Social-Media mal probieren:. „Klicken Sie auf „Gefällt mir!“ und gewinnen Sie ein Meet&Greet mit dem Sensenmann!“

            Für eine Karriere als Berufsschullehrer sehe ich allerdings schwarz bei mir. Das würde zwar in mancher Hinsicht das Problem mit der Quote lösen, allerdings würde es wohl auch den Fachkräftemangel verschärfen. Notfalls kann ich als Gärtner anfangen. Im Umgang mit der Sense bin ich durchaus geschickt.

          • moggadodde sagt:

            Das ist eine Alternative. Ich kenne einige Vorgärten, in denen mal wieder etwas Arbeit vonnöten wäre. Aber verkaufen Sie sich nicht unter Wert! In Ihrer Branche wäre ja auch ein Minijob in der Geisterbahn denkbar. Die Jugend von heute ist derart verroht, dass ein bisschen ordentliche Schreckkraft oft Wunder täte. Ich wünsche für Ihre weitere, berufliche Laufbahn jedenfalls noch einen guten Schnitt.

  2. Ralf sagt:

    Noch! Nen! Teil! Noch! Nen! Teil! 🙂

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