Das graue Ledersofa ist bequem aber ziemlich weich, ich sitze ganz rechts, den Ellbogen betont lässig auf die Lehne gelegt. Ich habe meine Beine übergeschlagen, so dass der Rock meines schwarzen Kostüms, der genau eine Handbreit über dem Knie endet, möglicherweise ein wenig zu hoch rutscht. Wie ich hier aufstehen soll, ohne dämlich auszusehen oder zuviel von meiner Unterwäsche preiszugeben, weiß ich noch nicht und ich wünschte, ich könnte auf einem Stuhl sitzen. Aber nun bin ich hier erst einmal in dem großen Büro des großen Bosses, mit einer Glasfront, so groß wie der Zuckerrübenacker von meinem Opa und Regalen, die sicher mehr bunte Plastikobjekte beherbergen als das Zentrallager bei IKEA. Rod telefoniert nach seiner Sekretärin und bittet um Kaffee für uns, den sie schon wenige Minuten später duftend in den Raum bringt. Mit einem Lächeln stellt sie meine Tasse auf einen kleinen runden Plastiktisch neben der Couch, bringt dann die Kaffeekanne zu Rods Schreibtisch, auf dem schon eine Tasse steht mit der Aufschrift „Ich bin hier nur der Arsch“ und verlässt dann sehr leise das Büro.
Ich bin hier zu einem Vorstellungsgespräch und damit eines klar ist: Ich WILL diesen Job.
Rod Laver, den Boss, habe ich im „Strings and more“ kennen gelernt, wo ich samstags und sonntags bei gedämpfter Musik hinter der Bar stehe und dem erlesenen, oft sogar prominenten Publikum die „Mint Tulips“ oder „John Collins’“ über den Tresen schiebe, während ich die Macher der nahen Börse beobachte, wie sie mit vollem Einsatz ihrer grandiosen Egos den kichernden, offenherzigen Schnepfen ins Cocktailkleid zu fassen versuchen. Oft müssen sie sich aber nicht sehr anstrengen. Einige Professionelle sind hier auch manchmal unter den Gästen, aber besonders häufig sitzt Mildred an meiner Theke, die ziemlich gefürchtet ist, weil sie sich von den betuchten Geldsäcken, die die anwesenden Frauen generell als verfüg- und somit bespringbar ansehen, nichts gefallen lässt. Erst letzte Woche hat sie sich derart heftig in den Genitalien eines besonders hartnäckigen Verehrers verkrallt, dass ihr Nagelstudio eine Sonderschicht schieben musste, um ihr neue, künstliche Nägel zu verpassen. Der Kumpel des Verehrers hat bei der Polizei zwar ausgesagt, der Typ habe Mil nur um Feuer gebeten und vielleicht hat sie auch etwas übertrieben reagiert, immerhin musste der Kerl in die Klinik. Aber so ist Mil, kompromisslos, eigensinnig, durchgeknallt und manchmal ziemlich gemein.
Sie war es auch, die mit Rod letzte Woche an die Bar kam und stellte ihn mir als einen neuen Bekannten vor, der im Zeitungswesen „unglaublich erfolgreich“ seine Brötchen verdiene. Sofort fingerte sie an ihm herum, purzelte beinahe vom Hocker bei ihren Bemühungen, ihm möglichst unverfänglich aber deutlich an die Oberschenkel zu fassen und wie zufällig immer wieder seine Schultern zu berühren. Diese Aktion war leicht zu durchschauen, zumal Mil aufgedreht kicherte und gegen ihre sonstige Art nicht Kette rauchte. An dem Typen schien ihr was zu liegen, weil sie die Männer sonst meist mit herablassender Miene und spitzen Sprüchen bedachte, was die Idioten aber nicht davon abhielt, ihr scharenweise wie läufige Hunde hinterherzuhecheln, was mich nicht wundert, denn Mil sieht einfach phantastisch aus und jedes Lebewesen, dem es gelingt, bei ihrem Anblick nicht zu erigieren, ist entweder schwul, eine Frau oder noch nicht erfunden.
Deshalb wunderte ich mich, als ich spürte, wie er immer wieder meinen Blick suchte, sich nach Kräften bemühte, Mils fordernde Hände und verzweifelten Konversationsversuche möglichst höflich zu parieren. Sie machte sich hier wirklich lächerlich, bemerkte es aber nicht einmal. Wegen ihres Aufsehen erregenden Angriffs auf den Mann in der letzten Woche hatte sie Hausverbot und bald kam Bert, der Chef aus seinem Hinterzimmer und beförderte sie mit sanftem Druck an die Luft, weil er nur ungern die Bullen im Haus hat und Mil hier seiner Meinung nach wirklich ein latentes Risiko für die öffentliche Ordnung ist. Zeternd versuchte sie noch, Bert zu bequatschen aber er ist ein Mann mit Prinzipien und kann ziemlich nachtragend sein. Mil ist schlecht fürs Geschäft, auch daran gibt es keinen Zweifel.
Rod und ich kamen ins Gespräch und er erzählte, dass er Mil die erfolgreicher-Zeitungsmann-Geschichte erzählt habe um bei ihr landen zu können und in Wahrheit habe er sich vor zwei Jahren als Kunststoffhändler selbständig gemacht, aber Frauen würden sich wohl lieber mit einem Zeitungsheini verabreden als mit dem „Plastikprinz“ und jetzt wusste ich auch, woher ich ihn kannte: In einer Zeitung hatte ich einen Bildbericht gesehen, in dem über die Verleihung eben dieses Titels durch die örtliche IHK berichtet wurde.
Er wollte wissen, was eine Frau wie ich hinter dem Tresen einer Bar wie dieser zu suchen hätte und ich klärte ihn auf, dass den fälligen Rechnungen egal sei, von welchem Geld sie bezahlt würden und leider habe sich mein teures Studium der angewandten Polymerwissenschaft noch nicht in klingende Münze umsetzen lassen. Ich sei halt einfach im falschen Jahrgang geboren, erklärte ich und zuckte mit den Schultern. Er sah mich überrascht an und sagte, dass die Kunststofftechnik nicht nur sein Beruf sondern auch sein Steckenpferd sei. Nun sprudelte er los: Er habe ein sagenhaftes Trainingsgerät entwickelt, das Frauen nicht nur bei gesundheitlichen Problemen Unterstützung biete sondern zudem in gewissen Stunden zur Entspannung verhelfe. Nur leider mangele es ihm an geeigneten Mitarbeitern, die ihn bei der Weiterentwicklung der Prototypen unterstützten. Ich als Frau mit Kenntnis von Kunststoffen wäre ganz sicher ausreichend qualifiziert für die Aufgabe, ihn hinsichtlich Materialwahl sowie Form- und Farbgebung zu beraten. Es gebe schon massenhaft Anfragen diverser Home-Shopping-Sender, einzelner Boutiquen und sogar medizinischer Kreise. Gleich morgen solle ich doch bitte in sein Büro kommen und grinsend setzte er nach, ich sollte nicht im Traum daran denken, ihn zu versetzen!
Auf den Job in der Bar war ich noch nie sonderlich scharf gewesen, deshalb sitze ich jetzt hier auf dem grauen Ledersofa und warte darauf, dass Rod zur Sache kommt. Ich freue mich darauf, mein gelerntes Wissen endlich praktisch umzusetzen und habe sämtliche Unterlagen über meinen hervorragenden Studienabschluss in der Tasche zu meinen Füßen. Entwicklung hochwertiger Kunststoffprodukte, OPEC-Statuten, Käuferanalysen, Zielgruppenforschung, alles kann ich aus dem Effeff.
Rod nippt an seinem Kaffee, öffnet den Wandschrank und stellt nacheinander beinahe andächtig fünf verschiedene Dildos, von denen einer sogar aussieht wie eine Gummiente, auf den lackierten Schreibtisch. Ich spüre, wie mir das Blut in den Kopf schießt, sich in den Ohren sammelt und es gelingt mir, verlegen zu fragen, was das nun solle. Ich bin schließlich gut ausgebildet und habe mich darauf eingestellt, die Forschungsabteilung für seine neuen Erzeugnisse aufzubauen, sage ich. Rod lächelt jetzt und sagt, er übertrage mir sogar die Leitung. Allerdings sei ich in der neuen Abteilung „Produkttest“ die einzige Angestellte. Ob mir das etwas ausmache?
Ich stehe auf, gehe langsam auf ihn zu und versuche mich daran zu erinnern, wie Mil ihren speziellen Griff bei dem armen Kerl ohne Feuerzeug angesetzt hat. Ganz plötzlich fällt es mir wieder ein …