Natural born assholes

Die Höflichkeit der Menschenkinder auf diesem Planeten hat ja letzthin etwas nachgelassen. Gehörte das Aufhalten von Türen früher zum guten Ton, kann man von Glück sprechen, wenn man nach dem Besuch eines x-beliebigen Kaufhauses nicht mit seinen Schneidezähnen Schusser spielen muss. Mit Gesichtern, die sagen „Wenn du mich ansprichst, spring ich dir ins Kreuz!“, hetzt die Mehrheit der Leute durch die Stadt, die Ellbogen angriffslustig ausgefahren, gefährlich wie die Stampede einer Mufflonherde, die seit zwei Monden nichts zu beißen hatte.

Wenn ich als Fahrzeuglenker (was für ein beknacktes Wort!) einem Passanten durch freundliches Handzeichen zu verstehen gebe, dass ich anhalten und ihn über die Straße gehen lassen werde, ernte ich meist kein dankbares Lächeln, sondern nur einen Blick der signalisiert, dass ein Vorbeifahren eine grobe Pflichtverletzung meinerseits gewesen wäre. Handzeichen sind auf den Verkehrswegen allerdings noch nicht ausgestorben, wenn sie auch durch einen aggressiv gereckten Mittelfinger imponiert werden.

Die Chance, Rücksichtnahme oder gar Freundlichkeit im Straßenverkehr zu erfahren ist in etwa so hoch wie die, dass Papa Ratzi ein aktives Mitglied der Hells Angels ist. „Hallo Partner – Danke schön!“, der alte Slogan aus den 70ern, wurde gestrichen, durch „Verpiss dich, du Flachwichser!“ ersetzt und wenn ich einen Verkehrs“partner“ darauf hinweise, dass sein linkes Bremslicht nicht funktioniert laufe ich Gefahr mit der Frage konfrontiert zu werden, „was, verfickt nochmal“ mich das denn bitte anginge.

Generell sind die kleinen Worte „bitte“ und „danke“ zu absoluten Raritäten geworden in diesen sensuell spärlichen Zeiten. „Dank“ für eine offen gehaltene Tür zu erwarten ist vergebliche Liebesmüh‘, das spontane An-den-Tisch-Rutschen im Restaurant, um ein Vorbeikommen zu erleichtern, wird ignoriert. Das gute, alte „Entschuldigen Sie bitte!“ für einen unbedachten Rempler ist komplett verschwunden und zu einem „Pass‘ doch auf, Mensch!“ mutiert.

Ich habe mir tatsächlich schon ernsthaft überlegt, ob ich meine alltägliche Freundlichkeit ablege und auch zum Arschloch werde. Erstens käme es ja auf eines mehr nicht mehr an und zweitens würde ich mich als paritätischer Kotzbrocken in der Güllegrube vielleicht besser fühlen. Ich würde gehbehinderten Ömchens die Drehtüren um die Ohren knallen und mich immer so saublöd an der Tankstelle postieren, dass ich die Zapfsäule hinter mir gleich mit blockiere. Beim Kaffeekränzchen würde ich mir kalt lächelnd das letzte Stück Kuchen abgreifen, ohne zu fragen, ob vielleicht jemand anders noch Lust darauf hat und ich würde mit unzerkleinerten Schuhkartons die hauseigene Papiermülltonne verstopfen, wie der bekloppte BMW-Fuzzi unter uns, der schon ein waschechtes Arschloch gewesen sein muss, als er bei seiner Mutter aus dem Bauch geflutscht ist, denn in dem Umfang kann er sich das unmöglich antrainiert haben.

Aber ich schaffe es nicht, ich kann machen was ich will. Ich parke nicht so, dass mein Parknachbar ein Schlangenmensch sein muss, wenn er in sein Auto möchte, ich formuliere freundliche, vollständige Sätze („Ich hätte bitte gerne den Zucker“ statt „Kann ich mal den Zucker?“ soviel Zeit muss sein!) und ich hebe im Treppenhaus auch mal ein Bonbonpapier auf, selbst wenn es nicht von mir ist. Im ÖPNV würde ich einem Senior meinen Platz anbieten, weil er vielleicht nicht gut zu Fuß ist und mit seinen gichtkranken, alten Fingern die Haltestangen nicht packen kann und ich bedanke mich lieber einmal zuviel als einmal zu wenig, nicht weil ich es muss, sondern weil ich es will und weil ich, wenn ich es sage, auch so meine.

Das mundartlich gefärbte „Dir hamse wohl in die Ohr’n gschisse!“, das eine fette Mittfuffzigerin dem ihr flüchtig bekannten Geschäftsinhaber heute als Antwort auf die nochmalige Frage nach der bestellten Brotsorte über die Theke bellte, war bestimmt nicht wirklich böse gemeint.
Der viel beschworene Zeitgeist ist wie ein wilder Gaul aus der Camargue zügellos davongaloppiert und hat die wichtigsten Passagiere, den freundlichen Umgangston und die guten Manieren in den Abgrund geschmissen, weshalb die unflätige Färse von heute Nachmittag leider ziemlich mittig im Lifestyle-Strom herumdümpelt.
Schade nur, dass dieser Prozess niemals mehr rückgängig gemacht werden kann. IchIchIch – zuerst komme IchIchIch – wir sind ein abscheuliches Volk von Egomanen geworden. Meinen Beitrag zur Verzögerung der selbstbeweihräuchernden Persönlichkeitsverkapselung habe ich geleistet und zumindest meine Kinder zu Höflichkeit (nicht zu verwechseln mit Unterwürfigkeit!) und freundlichem Auftreten angehalten. Mehr kann ich leider nicht machen.

Ein zügelloser Gaul ist mit mir heute wohl auch durchgegangen; zwar wollte ich zu diesem Thema gar nicht so ausführlich werden, andererseits verdient es eine ausführliche Behandlung.
Ich für meinen Teil bleibe, wie ich bin. Arschlöcher gibt es auf dieser Welt nämlich wirklich schon genug.

Euch einen herzlichen Abend wünscht
moggadodde

Dieser Eintrag wurde in Daily Soap veröffentlicht.

21 commenti su “Natural born assholes

  1. reallywant sagt:

    schön, dass es noch ein paar fossilien gibt, die sich vom mainstream nicht mitreissen lassen. BTW et heißt übrigens „fahrzeugführer“…

  2. Georg sagt:

    Es ist eine Kolumne, die in große Tageszeitungen gehört.

  3. socki sagt:

    Bleib so wie Du bist! Es gibt so viele Leute, die ihre Manieren zu Hause lassen, wenn sie vor die Tür treten, daß es einem graust. Egal ob im Straßenverkehr oder beim Einkaufen. Und wenn man freundlich ist und bitte und danke sagt, wird man noch blöd angeguckt. Ich komme mir manchmal vor wie ein Dinosaurier.

  4. azahar sagt:

    hm, so sehr ich mich auch manchmal über den geringen Respekt der Spanier gegenüber fremden Eigentum beschwere, muss ich doch sagen, dass hier Höflichkeit noch gross geschrieben wird, so von wegen Türen aufhalten, bitte und danke sagen etc. und man auf ein freundliches Verhalten hin auch mit einer sehr freundlichen Reaktion rechnen kann.

  5. kommt mir sehr bekannt vor, das alles … aber schön zu sehen, dass ich nicht der einzige „dinosaurier“ hier bin, der „bitte“ und „danke“ noch im aktiven wortschatz hat.
    also: mo: danke für deinen post! und einen schönen tag noch!

  6. Georg sagt:

    Da fällt mir gerade zu ein, dass in gewissen Kreisen Jugendlicher das Wort „Respekt“ eines der zehn Wörter ihres Gesamtvokabulars darstellt. Respektiert wird von ihnen aber gar nichts, und wenn ich allein an so manch menschenverachtenden Songtext der Raperszene denke und dann ständig in jedem zweiten Satz dieses blöde „Respect Me!“ höre, dann könnt ich schon kotzen.

  7. markus sagt:

    ich kann georg nur zustimmen, diese pubertierenden hiphopanhänger fordern ständig respekt. dabei wissen die gar nicht, was das wort bedeutet. hatte meinen sohn ja 9 monate hier bei mir wohnen. ich kann ein lied davon singen…

  8. moggadodde sagt:

    @ reallywant: Ach, der „Fahrzeugführer“ – richtig! Keine Ahnung, warum mir partout nur der „-lenker“ einfallen wollte … Fossil ist im normalen Sprachgebrauch ja wirklich kein Kompliment. Wenn es aber darum geht, bin ich es gerne 😉

    @ Georg: Du hast Recht mit der Beurteilung der Hopperszene (so nennen sie sich selbst). Aretha Franklin hat ja auch mal von R-E-S-P-E-C-T gesungen, aber das hatte irgendwie mehr Daseinsberechtigung, oder?

    @ socki: Es gibt auch sehr viele Ausnahmen,immer noch, gottseidank. Aber der Trend geht leider eindeutig in den Keller, das kann ich bestätigen.

    @ azahar: Vielleicht verbessert das warme Klima oder das südländische Temperament die Leute bei dir? Durch ihre eher impulsive Art kommen sie möglicherweise nicht in die Verlegenheit, schlechte Gefühle zu speichern. Die hauen auf den Tisch, wenn ihnen was nicht passt und kehren dann wieder zum savoir-vivre zurück, könnte ich mir vorstellen.

    @ hühnerschreck: Du bist kein Dinosaurier (immerhin bist du jünger als ich!). Wobei mir einfällt, dass das schlechte Benehmen sich nicht auf die viel gescholtene Jugend beschränkt. Auch die Alten sind oft stoffelig oder unverschämt.

    @ markus: Pflichten werden klein geschrieben und Rechte mit aller Macht durchgesetzt.
    Ich wünsche deinem Filius, dass er noch verstehen lernt, dass es im Leben um Nehmen und Geben geht. Bei Hank in der Schule war der Kinderschutzbund, um über die Kinderrechte in Deutschland zu informieren, die eigentlich selbstverständliche Grundlage der Erziehung sein sollten, auch ohne die UNESCO und Kollegen. Die Durchsetzung von Pflichten muss den Eltern unbedingt am Herzen liegen, damit die Kinder keine großspurigen, selbstverliebten Egoisten werden. Ich wünsche dir und dem Jungen das Beste!

  9. Al Gore sagt:

    Ich fühle mich nicht schlechter und es kostet mich auch keine zusätzliche Anstrengung, wenn ich meinen Zeitgenossen freundlich und höflich begegne. Zu vielen scheint das aber leider wirklich einen Zacken aus der Krone zu brechen, eine Bitte auch mit einem „bitte“ zu versehen. Mir fällt es im Unterricht derzeit noch schwer, klare Arbeitsanweisungen nicht auch mit dem Zauberwort zu versehen. Schlimm ist es aber auch nicht.

  10. moggadodde sagt:

    @ Al Gore: Mir ginge es, glaube ich, genauso und es würde mir bestimmt schwer fallen, Aufforderungen nicht ständig mit einem „bitte“ zu versehen. Steht im Lehrerhandbuch irgendwo geschrieben, dass man auf das „bitte“ verzichten sollte? Ich frage das ernsthaft, weil ich mir vorstellen kann, dass ein Weglassen dieses Wortes z.B. bei dem Satz „Steckt die Bücher weg. Ihr schreibt jetzt eine Ex“ die noch junge Autorität deinerseits untermauert.
    Ich wäre keine gute Lehrerin, glaube ich. Mir würde auch nach 2 Jahren noch ein „Helmut, wirf jetzt ‚bitte‘ sofort den Kaugummi weg!“ rausrutschen. Zuviel Eingeschmeichel … ich wäre bestimmt ein volles Lehrer-Weichei.

  11. BS sagt:

    hallo hochjeehrte ;o),
    stell dir mal vor, du willst nen raum durch ne tür verlassen wärend meinereiner gleichzeitich rein will :o))). was denkste würde ich machen?

    a) ich trete een schritt zurück und sache mit eenen lächeln: „bitte schön die dame ;o)“.

    b) ich loofe ohne abzubremsen durch die tür und zwinge dich dazu, een schritt zurück zu jehn ;o)))

    c) ich bleibe inner tür stehen (wodurch diese für andere lebewesen unpassierbar wäre) und frach dich (obwohl wir uns nich kennen) ob du lust off een käffchen hast ;o))).

    was denkste, würde olle schatzi machen ;o).
    lass dirs jut jehn :o) *küsschen* und wech :o)))

  12. Nordlicht sagt:

    Dieser Post sagt das, was viele nicht mehr kennen, oder abgelegt haben. Schade, dass solche Umgangsformen in der heutigen Gesellschaft keinen Raum mehr finden.

  13. moggadodde sagt:

    @ BS: Ich würde sagen, du wählst:
    a.) wenn du ein Gentleman bist
    b.) wenn du ein Arschloch bist
    c.) wenn du clever bist.

    Jetzt kenne ich dich zu wenig, um mich hier festnageln zu lassen, aber ich gehe davon aus, dass für dich als Schatz b.) ausscheidet.
    Ob du a.) oder c.) wählst, kommt sicher auf deine Tagesform an 😉
    Dir auch ein schönes Wochenende!

    @ Nordlicht: Dabei ist es so schön, höflich zu sein und gar nicht anstrengend! Die alte Tradition des Besuchs einer Tanzschule ist so verkehrt nicht. Nicht um jemanden aufzureißen, sondern um Takt (i.S. von Fingerspitzengefühl) und Anstand zu schulen, zwei Fähigkeiten, die in der Erziehung oft zu kurz gekommen sind, weil die Eltern damit beschäftigt waren, ihren Kindern Zucker in den Allerwertesten zu … du weißt schon.
    Zum Aufreißen eignet sich die Tanzschule aber auch … 😉

  14. Nordlicht sagt:

    @moggadodde

    Du hast recht, die Tanzschule ist eine gute Schule. Nur wollen viele der Kiddis das heute nicht, weil es spießig oder uncool wie die zu sagen pflegen, ist. Auch ich bin für gute Umgangsformen untereinander, alles andere ist für mich nicht aktezptabel.

  15. Mephisto sagt:

    Schönes Posting, leider auch sehr wahr. Die Gesellschaft entwickelt sich leider zu einer sehr Ich-bezogenen. Etwas plakativ: entweder denkt jemand nur an sich oder er möchte, dass andere so sind wie er. Ignorieren, soweit möglich, sage ich mir immer.

    Zurückstecken, „Opfer“ bringen, mit etwas Höflich- und Freundlichkeit durch die Gegend laufen, dass kann vermutlich nur der, der mich sich im reinen und zufrieden ist. Vielleicht ist genau das eines der Ursachen.

    Darf ich mich wiederholen? Ich bin egoistisch, ich tue es einfach: schönes Posting 🙂

  16. kurz noch was zu den hippern-und-hoppern: früher hieß es mal: „Wer nichts wird, wird Wirt.“ heute nun: „Wer nichts kann, der rappt halt dann.“ da muss ich schmunzeln. auch wenn rappen und hiphopsen nicht dasselbe sind.

  17. Al Gore sagt:

    Es funktioniert schon ganz gut. Klare Aufforderungen müssen sich von Bitten unterscheiden!

  18. markus sagt:

    @ hühnerschreck: das ging noch weiter:

    und ist im dieses nicht gelungen, versucht er es in versicherungen. erinnerst du dich? ;o)

  19. moggadodde sagt:

    @ Nordlicht: Die Kurse der Tanzschule, die Dixie besucht, sind regelmäßig ausgebucht. Und es sind dort tatsächlich Jungs zu finden, wenn auch deutlich in der Unterzahl. Hank findet es zum jetzigen Zeitpunkt noch affig. Vielleicht ändert sich das ja noch 😉

    @ Mephisto: Bestimmt trägt die innere Zufriedenheit auch zur Fähigkeit bei, freundlich aufzutreten. Trotzdem ändert es nichts an der Unzufriedenheit, wenn ich andere anblaffe. Das hat sich nur noch nicht rumgesprochen 😉
    Wenn du so nett egoistisch bist, kannst du noch viel egoistischer sein, finde ich 🙂

    @ Al Gore: Hört sich gut an. Sollte ich auch mal versuchen 😉

    @ hühnerschreck und markus:
    Beides kannte ich noch nicht … und setze noch einen drauf:
    Daneben geht auch dieses bald,
    dann wird er eben Rechtsanwalt!
    😀

  20. *aufm rücken lieg und mit den beinen strampel* nee, die fortsetzungen kannte ich alle noch nicht *gacker*

    das war n echt guter wochenstart! DANKE!! :oD

  21. moggadodde sagt:

    @ hühnerschreck: Biddeschön!

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