Photofinish

Als ich letztens draußen einer gemeingefährlich aussehenden Riesenspinne begegnete, folgte ich einem ersten Impuls: Ich fotografierte Tarzan, wie ich sie inzwischen liebevoll nenne, und postete auf Facebook diese Begegnung der unheimlichen Art. Wegen der 2 m Entfernung zwischen Tarzan und mir wurde das Foto beschissen nur eher halbgut; ein Geländer, eine Menge Dickicht und meine vollen Hosen standen zwischen einem näheren Tete-a-tete. Es gab in der nahen Vergangenheit bereits einige Momente, in denen ich mir eine bessere Knipse wünschte und ich beschloss, die alte Spiegelreflexkamera zu reaktivieren.

Knipse

Knipse

Ein Film war schnell gekauft. Eineinhalb Euro sind 3 DM, das ist die Währung, die galt, als ich zuletzt einen Film für dieses Analogfossil kaufte. Die inzwischen schlappen Batterien mussten ebenfalls ersetzt werden. 14 Euro für zwei japanische Energiezwerge sind allerdings schon ziemlich happig.

Nach einigen Schwierigkeiten hatte ich auch endlich die Rolle in der Kamera platziert. Herrliches Spätsommerwetter, zwei Lahmärsche Schlafmützen zuhause, ich machte mich also allein auf einen Spaziergang im herbstlich besonnten Wald, wo ganz sicher ein besonders besonderes Motiv auf mich wartete, wert, auf den mühsam eingelegten Film gebannt zu werden.

Ich sah viel und Schönes. Pilze, jeder Form und Farbe. Spinnennetze, die von der Herbstsonne angestrahlt ihre Perfektion offenbarten. Ameisenhügel. Ein hübsches, grünlila bestrichenes Tor zu einem Wochenendgrundstück. Schwer tragende Hagebuttensträucher, aggressiv dreinblickende Rinder, abgelesene Weinberge und ich konnte mich nicht entscheiden. War dieses Motiv nun eine der 36, auf dem Film befindlichen Aufnahmen wert? Was, wenn ich die Blende versemmle, wackle, das Licht nicht stimmt oder sich die Kuh im Auslösemoment einfach wegdreht?

Nach zwei Stunden kam ich zurück, mit einer einzigen Aufnahme, die zudem aus reinstem Versehen passierte. Ich ertappte mich bei der Überlegung, um wieviele Pixel diese Kamera wohl besser sein mag als meine Handyknipse, bis mir einfiel, dass Pixel in der Analogwelt unbekannt sind und plötzlich fühlte sich das Ding in meinen Händen genauso urzeitlich an wie ein Walkman oder ein Wählscheibentelefon und ich merkte, wie sehr ich es verlernt habe, auf Fotos zu warten. Die Älteren werden sich noch daran erinnern, wie es war, als man Fotos nach 5 Tage dauernder Entwicklungszeit abholen durfte, um ein Drittel davon wegen Unter-, Über- oder sonstiger Falschbelichtung und/oder dämlicher Motive gleich wegwerfen zu müssen und den kläglichen Rest ins Album zu pappen.

Jetzt ist alles einfach: Ein witziges Schild in der Stadt, ein besonders beeindruckender Sonnenuntergang auf dem Heimweg, dank Digitaltechnik ist es überhaupt kein Problem, dies alles allzeit und überall festzuhalten und beinahe in Echtzeit über alle erdenklichen Kanäle in die Welt zu blasen. Was nicht sofort per Twitter oder Facebook verwurstet wird, kommt zur Aufbewahrung in die Cloud. Das alles kostet nichts, außer einigen Tippseln und Wischern auf dem Screen und hey, hatte ich dort nicht irgendwo ein Foto, das genau zu diesem Blogpost passt? Schnell noch ein wenig bearbeitet und aufgehübscht, schon ist das Ergebnis fertig zum Upload. Das alles ist sehr bequem und einfach und für meinen Alltag unverzichtbar.

Jetzt habe ich also noch 35 Bilder auf dem Film und keine Ahnung, ob es technisch überhaupt möglich ist, diese auf einen USB-Stick oder eine CD zu bringen, um sie irgendwann im Blog oder auf Facebook zeigen zu können, sollte ich in all meiner lähmenden Unentschlossenheit diesen Film jemals vollknipsen können. Aber ich habe für 14 Euro Batterien in diese Kamera gesteckt, die sich nirgends anders verwenden lassen und bin wild entschlossen, diese Energie zu nutzen.

Notfalls kann ich den Film ja zur Entwicklung bringen um ihn dann ganz noobig mit der Handykamera abzufotografieren und in die Cloud zu laden. Aber diese 35 Bilder werden geschossen. Irgendwann. Bald. Versprochen.

Eine überbelichtete Nacht wünscht
moggadodde

Dieser Eintrag wurde in Daily Soap veröffentlicht.

11 commenti su “Photofinish

  1. Georg sagt:

    Faszinierend! Und wenn es diese deine Schilderung sogar für mich ist, obwohl ich die analoge Zeit sehr gut kenne, wie faszinierend muss sie erst auf junge Menschen wirken, die tatsächlich bereits in der digitalen Welt aufwuchsen?

    Ja, du streifst da etwas, das vielen von uns verloren gegangen ist – unmerklich. Die Vorteile der Digitalisierung liegen auf der Hand und man eilt von einer neuen Möglichkeit zur nächsten aber verliert dabei so ganz allmählich den Blick fürs Wesentliche.

    Mehrfach benutzt du den Begriff „Wert“, und ja, er ist es, er trifft’s haargenau, finde ich.

    Der schönste Sonnenuntergang, das „mega-ultimativste“ Motiv, die Steigerung der Steigerung wegen – der einmalige Moment wird belanglos wenn er zur Beliebigkeit wird, wenn er in einer Masse an Möglichkeiten untergeht. Ihn wieder zu entdecken, das Wiederentdecken, das führst du hier vor. Wunderbar!

    • moggadodde sagt:

      Danke, Georg, genauso ist es! Ich werde mich bemühen, die verbliebenen 35 Fotos für einige ganz besonders schöne Momente zu verwenden.
      Allerdings muss ich mit genau diesem Vorsatz auf die Pirsch, denn zum alltäglichen Herumtragen ist das Teil einfach zu sperrig. Und es wird mehrere Versuche brauchen, bis ich etwas Vorzeigbares zustande gebracht haben werde. Durch die Handyquickies bin ich doch ganz schön aus der Übung!

      • Georg sagt:

        Wobei es ja unerheblich ist, ob dir dabei „etwas gelingt“ oder nicht, allein die Tatsache, dass du anders siehst, das hast du so wahr und gut geschrieben. Eine Bekannte einer Bekannten hat aus ihrem letzten Urlaub, der ein halbes Jahr oder so dauerte, sagenhafte 10.000 (Zehntausend) Digi-Bilder mitgebracht. Darüber brauchen wir nicht weiter zu reden 😉 Natürlich kann man dort auf vielen Bildern im Nachhinein Tolles und Einmaliges entdecken. In etlichen Bereichen ist es auch geradezu genial, alles, was man sieht, quasi vorsorglich festzuhalten, um dann in aller Ruhe hinterher entsprechendes auswählen zu können.

        Vielleicht ist das, was du beschreibst, am treffendsten als Kunstfotografie zu bezeichnen. Wenn man mal bedenkt, dass berühmte Landschaftsmaler vergangener Zeiten nur für die Motivwahl Tage und Wochen durch die Lande zogen, dann kommt dies deiner Schilderung schon näher. Ich bin also gar nicht so sehr auf die Qualität kommender Bilder gespannt als vielmehr neugierig darauf, welches Motiv du aus welchen Gründen fotografierst.

        Perfektion ist etwas für Penetranten, Sensation für Leute mit Minderwertigkeitsgefühlen und Originalität für jene, die nur gelangweilt und übersättigt die Welt betrachten. Was macht am Ende den Wert eines Motivs und seines Bildes aus?

        Hach, Heidi, das finde ich solch ein spannendes und weites Feld. Es lässt sich auf andere Bereiche der Kunst und des Lebens genauso schön anwenden. Alles findet seine Berechtigung, Digitalfotografie ebenso wie die analoge Technik. Ich würde so manchen aus der schreibenden Zunft (ich meine keine Hobby-Blogger, sondern professionelle Journalisten), die mittlerweile sogar nicht selten Biertischgespräche und -weisheiten als journalistische Artikel verkaufen, einmal raten, ihre Arbeiten mittels einer echten mechanischen Schreibmaschine zu verfassen, auf der selbst ein Copy & Paste genau so viel Mühe erfordert wie die eigenen Gedanken aufs Papier zu hämmern und bei dem das Korrekturlesen mit Tippex und dem Abkleben ganzer Zeilen und dem Neueinfügen von betippten ausgeschnittenen Papierschnipseln einhergeht – sie würden sich vorher genauer überlegen, was und wie sie etwas verfassen 😉

        Aber, wie gesagt, ein weites Feld …

        • moggadodde sagt:

          Ha, ein interessanter Gedanke, das mit den Papierschnipsel-Journalisten. Die Zeitung wäre sicher nur halb so dünn, aber dreimal so teuer.
          Man könnte gut eine Dokumentation machen: Menschen, die für ihre Arbeit auf modernste Mittel zurückgreifen können, müssen eine Woche lang arbeiten mit der Technik von vor 20 Jahren. Das genügt schon, um sie wieder zu erden.
          Kennst Du noch die alte Fernsehserie um den Journalisten „Lou Grant“ aus den Ende 70ern, Anfang 80ern? Dort hämmern die Reporter noch eigenhändig auf ihre Olympias oder Eibiemms ein, der freakige Redaktionsfotograf entwickelt seine Bilder selbst und die Besitzerin der Zeitung ist eine geldverliebte, immer perfekt ondulierte Hundenärrin. Auf youtube gibt es ganze Folgen zu sehen. Ich liebte das.

          Ja, Georg, ich bin auch gespannt, wie die 35 Chancen am Ende aussehen werden. Das kann zwar noch etwas dauern, aber mich hetzt ja niemand 😀

          • Georg sagt:

            Um Joddes Willen, fühl dich bloß nicht gehetzt! Man weiß ja, dass man hier meistens sehr lange warten muss, dafür bekommt man aber auch oft etwas geboten, das kaum anderswo zu finden ist. Gedanken und Worte, die länger nachwirken. Jeden Tag ein neues Gimmick, das gibt’s überall. Für die Fotos stelle ich mich schon mal auf eine Wartezeit von mehreren Monaten ein. Absolut OK.

            Gute Idee, das mit dem Kursus/der Ãœbung aus Old-School-Zeiten.

          • moggadodde sagt:

            Ja, Monate, das kann hinkommen, Georg. Ich hab die Kamera oft dabei, aber immer noch kein Foto gemacht. Danke für Deine Geduld!

  2. Klar kannst Du die analogen Filme digitalisieren. Online z B. hier: http://www.filmscanner.info/Preise.html

    • moggadodde sagt:

      Ahhh, ich hoffte, dass es so etwas gibt. Diese Adresse werde ich mal wegen einer Digitalisierung einer VHS-Cassette, die hier seit 25 Jahren rumdümpelt und mangels Recorder nicht mal mehr abgespielt werden kann, ansprechen. Ich sag nur „Hochzeit“ 😀

  3. Hazamel sagt:

    Wie schön.

    Analog fotografieren ist schon sowas wie die Öko-Version des fotografierens. Nichts was man einfach so schnell verdrückt und weitergeht, sondern es bremst schon ziemlich aus. Man macht sich auf Grund der begrenzten Ressourcen mehr Gedanken, wann man jetzt wirklich abdrückt und braucht (Also zumindest bei meiner…) viel länger weil da eben nix ist mit Autoblende, Autofokus usw. Auto klebt hinter der Kamera und muss viel mitdenken.

    Um deine analogen Schätze digital zu bekommen brauchst du weder einen Scanner zu Hause noch den Service vom Herrn Kelle.
    Wenn man heute einen analogen Film in die Tonne beim z.B. Drogeriemarkt um die Ecke wirft sollte man a) die Adresse nicht vergessen b)draufschreiben was man haben will und c) kann man ein Haken setzen bei „Auf CD“. Kostet ein paar Cent mehr aber lohnt sich.
    Siehe auch hier: http://blog.fsonline.de/?p=3656

    • moggadodde sagt:

      Ja, es ist richtige Arbeit. Allein das Einlegen des Films war eine Herausforderung, für mich zumindest. Es dauert alles länger, schnell draufhalten und knipsen ist nicht, genau wie Du sagst. Und ich war froh, allein unterwegs gewesen zu sein. Man braucht schon alle Sinne für sich, um das alles zu „verarbeiten“.
      Das mit dem Drogeriemarkt hoffte ich. Ich wusste nur nicht, dass die schon so fortschrittlich sind! Adresse, Haken, das krieg ich hin!

  4. […] drei Tagen jährt sich der Eintrag, in dem ich von der Reaktivierung des Analogfossils berichtete. Die letzten und überwiegenden Aufnahmen wurden am Gardasee geknipst, jedes einzelne […]

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