Abertausende von Leuten haben aus diesem Schrank in der Kantine schon einen Kaffeebecher geholt. Aber bestimmt bin ich das erste Dollhorn, das sich an dem in Schoßhöhe befindlichen Griffloch beim Öffnen der Tür den Zeigefinger verrenkt, weil er überhastet jemandem Platz machen möchte und vergisst, dass der Finger noch im Loch steckt. Ich bin einfach zu lieb für diese Welt.
Der Kantinenfehlgriff ist symptomatisch für meine derzeitige Sicht aufs hiesige Leben.
Ganz sicher habe ich im Moment entschieden zu wenig Zeit für mich, bin sogar unentschlossen, ob ich den Hauptdarsteller in einer neuen Geschichte sterben lassen soll und befürchte deshalb die ersten Anzeichen von Altersmilde.
Weil hier dauernd irgeneiner rumturnt und ich nicht mal irgendwas machen kann, ohne dass mich gleich jemand fragt, was ich denn da mache und weil der MamS mir dauernd meine Notizen von diesem fast nie benutzten Esstisch räumt, auf dem nur der Laptop und ein Olivenholzkistchen aus Mallorca stehen sollen, weil meine wilde aber für mich sinnvolle Zettelwirtschaft sein ästhetisches Auge beleidigt und er so den Tisch nicht polieren kann, komme ich einfach nicht voran. Mit Schreiben. Mit Denken. Mit Überhaupt.
Die Kinder haben ihre Zimmer, in dem sie ihre eigene Ordnung haben dürfen, solange es nicht zu sehr stinkt. Dem MamS und seiner unerbittlichen Ordnungsregentschaft gehört der Rest und da gibt er auch kein Jota her. Ich darf mich bewegen in dieser musealen Welt, es ist kein Problem wenn ich brösle beim Essen und es ist auch nicht schlimm, wenn mein Glas einen Rotweinring hinterlässt – keine halbe Stunde später wieder alles wie ein Foto aus der „Schöner Wohnen“. Das ist zwar einerseits ziemlich bequem – wenn ich es nicht mache, er macht es ganz sicher und er macht es gern und ich habe gern, dass er es gern macht. Oder so. Aber ich habe hier keinen Platz für mich, an dem ich chaotisch sein kann, ein bisschen ein Schwein sein kann, mit einer halbleeren Wasserflasche und Zetteln mit Eselsohren und Rotweinflecken und einer Kollektion bunter Stifte und Büchern und Rechnungen und Rundbriefen und benutzten Tempos und das geht mir momentan ein bisschen gegen den Strich.
Nächste Woche darf sich der MamS ein paar Tage fortbilden, schön weit weg. Und dann bleibt der Staubsauger in seiner Ecke, solange ich nicht in Bröseln wate, bleiben die Kuscheldecken schlampig über die Couches geschmissen, bleibt das Rotweinglas stehen bis zum nächsten Tag und ich vielleicht stelle ich sogar benutztes Geschirr für zwei Stunden in die Spüle! Ab Montag gehören diese eineinhalb Quadratmeter Tisch für ganze drei Tage allein mir und meinem kreativen Chaos!
Euch eine hemmungslose Nacht wünscht
moggadodde