Pole Position

Leonardo, das Cabrio hat Durst. Es ist endlich wieder sonnig und so steuere ich mit offenem Verdeck eine Tankstelle an, öffne den Deckel und stecke den Rüssel in den Autoschlund.
Als mein Blick auf das Display der Zapfsäule fällt, sehe ich – nichts. Offenbar führt ein Fehler in der Elektronik dazu, dass ich weder sehe wieviel, noch zu welchem Preis ich tanke. Irgendwas mit Einssechzig sah ich beim Einfahren und ich beschließe, Leonardo einfach mal einen Schluck hineinzuschütten, in der Hoffnung, in den nächsten Tagen irgendwas günstigeres zu erwischen. Ha. Ja. Ich glaub‘ ja auch nicht dran.

Ich lasse den Sprit also ein Weilchen sprudeln und beschließe irgendwann, dass es jetzt wohl genug ist. Wieviel ich getankt habe, weiß ich nicht – das Display ist immer noch dunkel wie die Seele eines Ölscheichs. Im Kassenhäuschen weise ich den Mann, formally known as Tankwart, darauf hin, dass offensichtlich, höhö, ein Problem mit der Zapfsäulenlektronik zu bestehen scheint und dass er sich dringend darum kümmern müsse, ist ja schon unangenehm, ins Blaue hinein zu tanken.
Das könne ja gar nicht sein, sagt der Herr und stante pede begeben wir uns an die streitgegenständliche Säule. „Da! Nix zu sehen!“, zeige ich triumphierend. „Ähm“, sagt der Herr. „Ist doch alles in Ordnung!?“, und kratzt sich am Kopf.
„Das Display ist schwarz! Und entweder spinnen jetzt Sie oder ich!“, sage ich mit einem Hauch Hysterie in der Stimme. In seinem Kopf sehe ich die Gedanken. Wie die Alte wohl an den Führerschein gekommen ist. Ob sie noch alle Oktan im Sprit hat. Immer dieses irre Gesindel an der Tankstelle. Wenn mein Blick während des Gesprächs zwischen ihm und der Zapfsäule wechselt, sehe ich eine Millisekunde lang die Anzeige aus den Augenwinkeln. Kurzschluss? Wackelkontakt? Nächste Dimension?

Genervt nehme ich meine Sonnenbrille ab und stutze. Das Display zeigt jetzt dauerhaft einen Spritpreis. Den Betrag, den ich eben bezahlt habe. Kurz: Es tut, was es soll.
Dann fällt mir ein, dass die freundliche Dame beim Optiker meinte, eine Sonnenbrille mit polarisierenden Gläsern hebe nicht nur Reflexionen und Blendungen auf, sondern auch die Lesbarkeit mancher Displays. Völlig verdutzt mache ich die Probe und tatsächlich: Sicht mit Brille null, ohne Brille alles schicki.

Natürlich bin ich kleinlaut und zerknirscht. „Kein Ding!“, entgegnet die Kraftstoffverkaufsfachkraft, aber ich würde gern jetzt sofort in einen der Tanks versinken. Schnell setze ich mich hinter Steuer und verschwinde, als wäre der Tiger im Tank hinter mir her.
Natürlich habe ich die neue Brille im Gesicht. Blöd kann man sein. Stil muss man haben.

Durchblickend
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Geht doch!

Desinfektionsspender, „wait to be seated“-Schild und ein vor altitalienischem und ehrlichem Charme strotzender Chef. Grundsolide, üppig-italienische Küche mit göttlicher Weinauswahl, eingenommen zwischen transparenten Abtrennungen unter Pavillons, die einem Sommer 2021 bzw. sogar einem Platzregen standhalten würden. Rote Bete-Carpaccio und monströse Pizza „Amore Mio“ in Wagenradformat. Normdezibel absonderndes Publikum neben flottfreundlichem, aufmerksamem Service, begleitet von originellem Interieur auch an abseitigen Orten.

Alle Plätze besetzt und trotzdem in keinem Moment ein ungutes Gefühl. Ich bin erleichtert. Es ist also keine Frage, ob man ausgeht, sondern wohin man ausgeht. Los, traut Euch!

Erstgeimpfte Grüße
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Ausgegangen. Schiefgegangen.

Ja, ich habe an Gewicht gewonnen in diesem verdammten Coronawinter. Regelmäßige und häufige Restaurantbesuche waren vorher fest im Monatsbudget vorgesehen und fielen für ein halbes Jahr ersatzlos heimischer Küche zum Opfer. Ich sehe da übrigens einen Zusammenhang: Während in der Gastronomie das Bestellte einen fixen und zumeist ausreichenden Umfang hat, wird zuhause halt gerne mal nachgefasst aus üppig gefüllten Töpfen, und, ach, die Zeiten sind eh beklagenswert dramatisch plus es ist sowieso zu wenig für alle am nächsten Tag, also machen wir halt leer, den Pott.
Natürlich hätte ich mich, um die Hose im Rahmen zu halten, auch ein bisschen mehr bewegen können. Aber Ihr kennt mich: Bei Kälte bin ich quasi außer Betrieb.

Also gestern Außengastronomie-Premiere dieses Jahr. Zu viert ergatterten wir in einem hübschen Restaurant am Main gelegen einen Tisch. Die Servicekräfte fielen durch ihre äußerst schlanken Gestalten auf, die sie auch brauchten, wollten sie zwischen den eng gestellten und voll besetzten Tischen ein Durchkommen finden. Dixie und ich hatten ein Gebüsch hinter uns, der kleine Hank und der MamS saßen uns gegenüber und so atmeten wir uns die Aerosole nur familienintern ins Gesicht, rechts von uns ein Besteckwagen, links Blumenkübel und Straße. Wir saßen ein Weilchen, ehe der Servicechef mit einer Desinteresse und Genervtheit ausstrahlenden Miene die Bestellung aufnahm. Wegen der Auswärtspremiere und auch, weil wir seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatten (Stichwort „Coronaast“!), fiel diese recht üppig aus. Zwei von vier Getränken kamen fix, die anderen wollten wohl auch nach Erinnerung partout erst mit der Vorspeise serviert werden. Der zweimal monierte Parmesan zu den Arrabiata zog es vor, gleich in der Küche zu bleiben. Eine meiner Beilagen wollte mit dem Fisch wohl nicht gesehen werden und blieb ebenfalls fern. Wenn ich sauer bin, werde ich erst mal still, so sagte ich besser nichts, auch wenn ein Hausverbot mich im Nachbetrachtung nicht betrübt hätte.

Ich beobachtete einen Tisch, an dem lustlos in den Speisen herumgestochert wurde und von dem ein stetiges Rufen nach ausgeschwärmten Kindern ertönte. Schon eine Weile dem Mutterbusiness entwachsen erinnere ich mich noch dunkel, meine Kleinen in direkter Nachbarschaft eines Flusses und einer Straße nicht aus den Augen gelassen zu haben, aber vielleicht haben sich die Gebräuche da ja inzwischen gelockert.

Nicht gelockert hatte sich meine Stimmung. Ich war genervt vom schlechten Service, von den vielen Menschen, besonders von denen am beobachteten Tisch. Die Teller waren kaum angerührt, als sie endlich, endlich aufbrachen.

Auf brach kurz darauf auch der Himmel und entließ schließlich einen Platzregen biblischen Ausmaßes über uns. Während der kleine Hank zum Auto sprintete, zahlten wir die Zeche, wenigstens das ließ sich zügig erledigen. Nass und ein klitzekleines bisschen genervt holten wir uns an der Tankstelle ein paar Magnum (das Eis, nicht die Knarre).
Tatsächlich war das Double Gold Caramel Billionaire dann, zuhause genossen mit einem Espresso auf der ruhigen Terrasse, überzogen mit einer üppigen Schokoschicht, gleich einer dicken Haut, die mir in diesem Endloswinter offenbar abhanden gekommen ist, das eigentliche Highlight des ersten Ausgangs des Jahres,

Vielleicht sollte ich einfach weiter zuhause bleiben.

Mahlzeit
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Keine Worte

Wir verbrachten einen schönen Geburtstagsnachmittag, Mutter, der kleine Hank und ich. Zwar hatten bei der Heimleitung um Erlaubnis nachgefragt, aber 4 Personen aus 3 Haushalten waren mehr, als zugelassen war. So saßen wir am Mittwoch also zu dritt beieinander, plaudernd über telefonische Gratulationen und scheiß „Carola“, Mutter klagte über leichte Kopfschmerzen und fand oft nicht die Worte, die sie suchte. Sie schob es auf mangelnde Flüssigkeitszufuhr und trank dann doch mal einige, große Schlucke, worauf es besser wurde. Trotzdem benachrichtigte ich das Personal und bat darum, doch mal den Blutdruck zu checken, was der Lieblingspfleger Thomas auch schnell und mit unauffälligen Werten besorgte.
Unsere Geschenke mit eher praktischen Utensilien kamen gut an, aber mein Bruder hatte am Empfang ein Geschenk abgegeben, das genau ihren auch im Alter modebewussten Geschmack traf: Ein bordeauxrotes Oberteil mit Glitzersteinen um den Ausschnitt und die passende Halskette! „Häng’s mal auf den Bügel! Das zieh ich morgen gleich an!“, rief sie begeistert. Per Videoanruf schalteten wir Dixie und meinen Bruder zu und sie freute sich und bewunderte Dixie wegen ihrer dicken Mütze, die sie trug.
„Du hast mir noch gar nicht gratuliert!“, sagte sie zu Lieblingspfleger Thomas, der entgegnete, auf Kommando schon gar nicht gratulieren zu wollen. Die beiden vertrugen, neckten, und rieben sich häufig. Auch ich mag ihn sehr, weil er die alten Menschen ernst nimmt und ehrliches Interesse zeigt. Jemand, der richtig ist in diesem aufreibenden Beruf. „Abendessen mag ich heute nicht!“, sagte sie aber Thomas entgegnete „Helga, ich bring’s dir mal und dann schaust du!“. Der kleine Hank und ich staunten nicht schlecht, als sie die gebrachten drei Toastbrotscheiben mit Streichwurst innerhalb weniger Minuten verdrückte. Na, geht doch!

Als wir gingen, nahm ich die FFP-2-Maske ab, drückte und küsste sie. „Das dürfen wir doch nicht!“, rief sie aus und ich entgegnete „Na, Mutti, wir sind getestet, du bist zweimal geimpft, an Carola stirbst jetzt schonmal nicht!“, und wir lachten. Sie winkte uns zum Abschied und freute sich auf den nächsten Tag, an dem Dixie ihren Besuch angekündigt hatte. Das war doch wenigstens etwas gutes an der Besucherbeschränkung: Die nächsten Tage waren mit Abwechslung gut gefüllt.

Der Anruf kam am nächsten Morgen. Zwei Nachtkontrollen waren unauffällig. Um halb 6 morgens fand man sie leblos in ihrem Bett. Ihr Herz hatte einfach aufgehört, zu schlagen. Ein Traumtod, wenn es so etwas überhaupt gibt, ein Alptraum für uns.
Lange saß ich an ihrem Bett, hielt die kalt und kälter werdende Hand und konnte und kann es nicht fassen.
Mutter ist gestorben.

Ohne Worte
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Fernweh

Heute ganz schlimmer Fernwehanfall. Taggeträumt von Playa Pocitos und Sonne auf der Haut und Sand zwischen den Zehen. Sehnsucht nach Augenfutter und Hirnnahrung. Nach Bier bei Baika birras. Einen cafecito am Rio de la Plata mit spanisch, das ich nicht verstehe, das aber trotzdem funktioniert. Sehnsucht nach weit weg. Nach Hafenduft und Asado und Chivitos. Nach unterwegs sein, bis die Füße nicht mehr können. Danach, dass der Stillstand ein Ende hat.

Bitte. Lass 2021 einfach besser werden.

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